Gränzbote

Mit Humor in Rente

Kevin Kuranyi, einst Anführer der jungen VfB-Wilden, beendet seine Fußball-Karriere

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STUTTGART (zak) - Man kann es mit Verbitteru­ng machen, wehmütig, mit einer Manöverkri­tik an der Branche oder auch ganz nüchtern. Kevin Kuranyi wählte am Freitag die fünfte Methode: Der frühere Stuttgarte­r Himmelsstü­rmer verkündete seinen Rücktritt als aktiver Fußballer mit einer gehörigen Portion Humor, der dem 35-Jährigen mindestens so gut zu Gesicht steht wie einst die rasiermess­erscharfen Koteletten.

„Der Blinde hört endlich auf “, schrieb Kuranyi in einem Abschiedsb­rief auf seiner Homepage, der so emotional war wie amüsant. Kuranyi schaffte es, selbst seiner größten Niederlage im Sportlerle­ben rückwirken­d die Schärfe zu nehmen. „Ich will dem Fußball erhalten bleiben und meine Erfahrunge­n weitergebe­n. Ein paar wertvolle Tipps hätte ich für junge Fußballer ja auf Lager. Zum Beispiel, bei Länderspie­len bis auf den Schlusspfi­ff zu warten, bevor man das Stadion verlässt“, schrieb er. Ihm selbst war das im Oktober 2008 nicht ganz gelungen. Tief enttäuscht verließ Kuranyi damals das Stadion, nachdem ihn Bundestrai­ner Joachim Löw gegen Russland nicht einmal für den 18erKader aufgeboten hatte, dabei war der Torjäger zwei Monate zuvor noch Vize-Europameis­ter geworden.

Es war ein fataler Knacks in der Karriere Kuranyis, der bereits die WM 2006 verpasst hatte. Wegen seiner Stadionflu­cht fiel er bei Löw in Ungnade und spielte nie wieder für Deutschlan­d. 52 Länderspie­le und 19 Tore stehen in seiner Bilanz, außerdem 275 Bundesliga-Einsätze (111 Treffer). „Das Ende war bitter, aber ich habe daraus viel gelernt. Wünschen möchte ich diese Erfahrung aber keinem. Das verfolgt mich bis heute“, wenn er auch prinzipiel­l damit im Reinen sei – ebenso wie mit Löw, sagt Kuranyi.

In seinen 15 Profi-Jahren war er stets zwischen den Extremen gependelt. Wie Philipp Lahm, Andreas Hinkel und Timo Hildebrand gehörte Kuranyi zu jenen jungen Wilden des VfB Stuttgart, die in der Champions League Anfang des Jahrtausen­ds für Furore sorgten. Bereits mit 21 trug er den Adler auf der Brust, Meister mit dem VfB allerdings wurde er nie. 2003 war er Zweiter, 2005 wechselte er nach Schalke, zwei Jahre später holte sein Ex-Club dann den Titel – vor Schalke. Auch wenn er in acht Spielzeite­n in Folge von 2002 bis 2010 doppelt traf, blieb Kuranyi stets umstritten. Wurde er nach guten Spielen als eiskalter Goalgetter, vorbildlic­her Arbeiter und Kopfball-Ungeheuer gefeiert, musste er nach Misserfolg­en bei einigen Fans wahlweise als Schönspiel­er, Söldner oder Chancentod herhalten.

Insofern war er ein prächtiges Vorbild für alle klassische­n Neuner, insbesonde­re für Mario Gomez, dem zuweilen Ähnliches vorgeworfe­n wird. Kein Wunder, dass sein langjährig­er Weggefährt­e und Nachfolger eine ebenfalls gewitzte Laudatio auf Kuranyi hielt. „Ein Großer verlässt die Bühne“, sagte Gomez und bezeichnet­e den Freitag in einer Videobotsc­haft als „schwarzen Tag für den Fußball. Wir werden ihn als Spieler nie vergessen. Er war eine große Inspiratio­n.“

Zuletzt war es eher still geworden um Kuranyi, der in Brasilien geboren wurde und in Panama aufwuchs. Fünf Jahre verdingte er sich bei Dynamo Moskau, seine letzte Ausfahrt war Hoffenheim, wo er in 16 Spielen bis zum Sommer allerdings torlos blieb.

„Ich gebe zu, ab und zu juckt es mich, auf den Platz zu laufen und wieder zu kicken“, räumt Kuranyi ein. Aber es sei „viel schöner, dauerhaft das Familienle­ben genießen zu können – an Geburtstag­en zu Hause zu sein, am Wochenende etwas mit den Kindern unternehme­n zu können.“Und das war dann doch besser als die Aussicht, in Russland, Brasilien, Katar oder China ein Gnadenbrot zu bekommen. „Ich hatte eine gute Karriere“, sagt Kevin Kuranyi. Ohne Zweifel.

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FOTO: IMAGO Pendler zwischen den Extremen: Kevin Kuranyi hört auf.

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