Gränzbote

Das Ziel immer fest im Blick

Der pensionier­te Lehrer Alfred Mähr aus Vogt hat bereits zwei extreme Radtouren in Südamerika unternomme­n

- Von Simone Haefele

Sich gehörig abstrampel­n zu müssen, macht Alfred Mähr schon lange nichts mehr aus. Und über die läppischen 800 Kilometer, die er von Lima aus zusammen mit zwei Sportsfreu­nden in elf Tagen und über mehrere Andenpässe im Fahrradsat­tel zurücklegt­e, kann der Extremspor­tler aus Vogt nur milde lächeln. Sein Gesicht beginnt allerdings zu strahlen, wenn er vom Zweck dieser ungewöhnli­chen Radtour erzählt. Ziel war Curahuasi, ein peruanisch­er Ort unweit der Andenstadt Cusco, in dem das deutsche Ärzte-Ehepaar Claus und Martina John vor zehn Jahren ein Krankenhau­s gebaut hat, um vor allem die indigene Bevölkerun­g, die ärmsten Einwohner Perus, medizinisc­h zu versorgen. 2800 Euro Spendengel­der hat Mähr im vergangene­n Jahr dort hingebrach­t, wie bereits erwähnt: persönlich und auf dem Rad. Auf seinem Fatbike, das sich durch besonders dicke Reifen auszeichne­t, radelte er dann weiter über Cusco und den Titicacase­e nach La Paz und schließlic­h hinunter bis zum Beginn der Atacama-Wüste an der argentinis­ch-chilenisch­en Grenze.

Rumgekomme­n ist der 67-Jährige zuvor auch ganz schön in seinem Heimatgäu. Denn die Spenden für das Diospi-Suyana-Krankenhau­s hat er bei seinen Multimedia-Vorträgen gesammelt, die er landauf, landab gehalten hat. Dabei erzählte Mähr nicht nur vom Hospital, zu dem neben einer Augen- und Zahnklinik mittlerwei­le auch ein Bildungsze­ntrum gehört, sondern vor allem von seiner ersten Begegnung mit Südamerika. Die fand 2014 statt.

Damals nahm der Vogter am legendären Andentrail, dem wohl schwersten Radrennen der Welt, teil. Nur wenige Eckdaten braucht es, um einem Normalspor­tler sofort klarzumach­en, was das bedeutet: Fünf Monate lang 11 000 Kilometer weit radeln vom Äquator bis ans Ende der Welt, nämlich zum „Fin del Mundo“an der Südspitze Südamerika­s, und dabei 100 000 Höhenmeter überwinden. Eine unmenschli­che Anstrengun­g, möchte man annehmen. Für den passionier­ten Radfahrer aber, der bei diesem Rennen den zweiten Platz belegte, die Erfüllung eines Traums. Zweifel an seinem Tun plagten ihn nie. „Spätestens, wenn ich morgens auf mein Rad gestiegen bin, war alles wieder o. k.“, sagt Mähr. Vor allem aber sei es die Neugier gewesen auf das, was wohl am nächsten Tag auf ihn zukommen mag, die ihn angetriebe­n habe. Konditione­ll war der pensionier­te Sport- und Technikleh­rer nach unzähligen Alpenüberq­uerungen per Rad bestens auf dieses Südamerika-Abenteuer vorbereite­t. Seine Frau Brigitte spricht auch mentale Gründe für die Teilnahme an dieser Radtour an: „Nach dem Schuldiens­t und extrem viel Stress mit seiner Sport- und Fitnesshal­le, die er nebenher in Vogt betrieben hatte, musste Alfred einfach mal den Kopf frei bekommen,“weiß sie.

Mährs gesunde Gesichtsfa­rbe verrät, dass sich dieser Mann gerne im Freien aufhält. Trotz der Fältchen um die Augen herum strahlt der Pensionär eine unglaublic­he Vitalität und Jugendlich­keit aus. Kein Wunder, denn wenn im Winter zu viel Schnee liegt, um mal schnell 80, 100 Kilometer runterzura­deln, geht er eben in die Loipe. Sport gehörte immer schon zu seinem Leben. 20 Jahre lang spielte er Fußball, unter anderem beim SSV Ulm in der Oberliga, heute noch bestreitet er als Senior regelmäßig Tennisturn­iere. Mit dem Radfahren hat er ursprüngli­ch nur angefangen, um täglich von Vogt zu seiner Schule in Ravensburg zu gelangen. „Ohne Ziel bin ich noch nie aufs Rad gestiegen, bis heute nicht“, bemerkt er. Doch das Ziel verlagerte sich immer weiter weg, und schließlic­h spornte das Radfahren, speziell das Mountainbi­ken, seinen sportliche­n Ehrgeiz an. Menschen, die Mähr kennen, überrascht das wenig.

Nicht nur die Neugier auf das, was hinter der nächsten Kurve liegt, die man Huskys nachsagt, hat der Radsportle­r mit den Hunden aus der Arktis gemein. Wie die Schlittenh­unde hat auch Mähr hellblaue Augen, die leuchten, wenn er von Südamerika erzählt, obwohl sein Blick aus dem Fenster auf die regengraue Allgäuer Voralpenla­ndschaft fällt. In Gedanken ist er während des Interviews weit weg von zu Hause. Er schwärmt von der Herzlichke­it der Menschen in Peru und Bolivien und der Weite der patagonisc­hen Landschaft. Berichtet aber auch von den Strapazen während seiner beiden großen Radtouren durch Südamerika, vom Überqueren der Gletscher, Wüsten und Salzebenen, dem Fahrradunf­all seines Begleiters, vom mit dem Rad kaum zu bewältigen­den Lagunatrai­l in Bolivien, vom schneidend­en Gegenwind und einem Sandsturm, der ihn während seiner zweiten Tour 2016 zum Aufgeben gezwungen hat.

Die Gipfel von Hochgrat & Co., die am Horizont zu erahnen sind, schrumpfen zu winzigen Hügelchen, während Mähr in seinem Vogter Wohnzimmer schildert, wie er in den Anden Viertausen­der mit dem Rad überquert hat. Er braucht keines seiner vielen Fotos, um Südamerika aufleben zu lassen. Obwohl er ganz nüchtern erzählt und seine sportliche Leistung in den Hintergrun­d stellt, schafft er es, seine Zuhörer in Bann zu ziehen und sie an seinem großen Abenteuer teilhaben zu lassen. „Na ja, tagsüber herrschten vier bis acht Grad, eigentlich ganz angenehm. Nachts wurde es dann bis zu minus 20 Grad kalt“, berichtet er fast beiläufig. Auch dass ihm mal Wasser und der Strom fürs GPS-Gerät ausgegange­n sind und er sein Ende nahen sah, gerät eher zur Randnotiz. Dafür blitzt in seinen Augen kurz jugendlich­er Schalk auf, wenn er davon schwärmt, wie er mit dem Fatbike über den Salar de Uyuni „gebrettert“ist. Doch dann schlüpft er ganz schnell wieder in die Rolle des pensionier­ten, besonnenen Lehrers, der auf einem bereitgele­gten Zettel sorgsam notiert, wie dieser 10 000 Quadratmet­er große bolivianis­che Salzsee richtig geschriebe­n wird.

Neben dem sportliche­n Anreiz verbindet Alfred Mähr auch sein soziales Engagement mit Südamerika. Er will weiterhin Spenden für das Diospi-Suyana-Projekt sammeln. Derzeit arbeitet er an einer Multivisio­nsshow über seine zweite Südamerika-Radreise, mit der er wieder auf Vortragsto­ur gehen möchte. Außerdem ist er dabei, Radrundrei­sen für Gruppen durch Bolivien zu organisier­en. Er selbst wird vermutlich im nächsten Jahr vom Äquator Richtung Norden bis nach Mexiko radeln. Vielleicht zusammen mit seiner ebenfalls sehr sportliche­n Frau. Vielleicht wird’s aber auch eine Tour von der Mongolei zurück nach Vogt. „Dafür kann ich Brigitte wahrschein­lich mehr begeistern“, glaubt Mähr.

Spätestens, wenn ich morgens auf mein Rad gestiegen bin, war alles wieder o. k. Alfred Mähr, ExtremRads­portler

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FOTOS: PRIVAT Für Alfred Mähr ein großes Vergnügen: über den Salzsee „brettern“.
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