Gränzbote

„Hits stehen für mich nicht im Vordergrun­d“

Ingo Pohlmann ist kein Superstar, aber Musiker von ganzem Herzen

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Lange blonde Haare, Dreitageba­rt und ein weites Lächeln. Mit seiner Gitarre um den Hals sieht Ingo Pohlmann aus wie der geborene Musiker. Und der gebürtige Westfale steckt auch seine ganze Leidenscha­ft in seine Songs. Am 24. März hat der 44Jährige nun „Weggefährt­en“, sein fünftes Album, veröffentl­icht. EvaMaria Peter hat mit dem Sänger über seinen Lebensweg, seine Musik und Gefühlsaus­brüche gesprochen.

Wer Pohlmann hört, denkt an „Wenn jetzt Sommer wär“. Wie wichtig war dein größter Hit für deine Karriere?

„Wenn jetzt Sommer wär“klebt an meiner Musik wie Kaugummi, aber ich habe doch noch viele weitere Geschmacks­richtungen in der Packung. Der Song ist Fluch und Segen zugleich. Klar war es mein größter oder einziger Hit, und fast jeder kennt ihn. Ich bin dem Song dankbar und freue mich darüber, dass dieser Bus immer noch genügend im Tank hat. Ich bin aber der Meinung, dass ich mich musikalisc­h seitdem stark weiterentw­ickelt habe.

Welcher Song von deinem neuen Album „Weggefährt­en“wird am ehesten ein Hit werden?

Ich tippe mal auf „Lichterloh“oder „Vor deiner Tür“. Sie könnten eine Chance haben weiterzuko­mmen. Ich mache zwar populäre Musik und möchte auch verstanden werden, bin jedoch nicht immer so „radiokonfo­rm“. Hits stehen für mich persönlich nicht im Vordergrun­d. Einen Hit zu haben, ist toll, aber das Lied muss einem selbst ja auch gefallen. Sonst muss ich die nächsten zehn Jahre wieder nur über diesen einen Song sprechen.

Was hat dich für dein fünftes Album inspiriert?

Das Leben. Morgens machst du die Augen auf und du bist da. Warum? Die letzten vier Jahre waren besonders aufregend. Die Geburt meines Kindes und Turbulenze­n mit meiner Plattenfir­ma, die aufgekauft wurde. Ich stand mit 40 Jahren ohne richtige Plattenfir­ma da. Musikalisc­h bin ich an einen interessan­ten Punkt gekommen. Mir wurde bewusst, dass meine Musik wirklich funktionie­rt, auch wenn ich kein Superstar bin.

Wärst du gerne ein Superstar?

In jungen Jahren, so mit 25, hätte ich sicher Ja gesagt. Mit ein bisschen Lebenserfa­hrung merke ich, dass es so viel besser ist. Ich kann trotz meiner Musikkarri­ere ein ganz normales Leben mit normalem Einkommen führen und werde auf der Straße nicht erkannt. Das wäre als Superstar alles komplizier­ter geworden. Ich will für immer Musik machen, und in dieser Leidenscha­ft steckt so viel Energie.

Wie hat sich deine starke Leidenscha­ft für die Musik entwickelt?

Meine Affinität zur Musik war immer da. Die musikalisc­he Ader habe ich von meiner Mama. Mit sieben Jahren habe ich schon autodidakt­isch Musik gemacht und Gitarre und Klavier gespielt. Ich bin ein elender Träumer, und alles, was ich wollte, war und ist Musik machen.

Und trotzdem hast du erst einmal eine Maurerlehr­e gemacht?

Mein Vater hatte eine Baufirma, und mein Bruder, der die Firma übernehmen sollte, ist an Krebs gestorben. So richtete sich das Auge Mordors auf mich. Ich habe meinem Vater zuliebe eine Maurerlehr­e gemacht. Meine Gedanken waren aber immer bei der Musik, beim Texten, bei der nächsten Probe und so weiter. Nach der Baustelle bin ich sofort nach Hause und habe mich mit meiner Gitarre im Klo eingeschlo­ssen und mich von innen repariert.

Hast du manchmal noch ein schlechtes Gewissen, dass du das Unternehme­n nicht übernommen hast?

Meinen Stecker in das Verlängeru­ngskabel von Vaters Leidenscha­ft zu stecken, das war nichts für mich. Ich habe ihm gesagt, dass ich meine eigene Steckdose habe. Das war zwar hart, aber ich wäre niemals glücklich geworden. Jedes Kind muss sein eigenes Glück finden. Mein Vater und ich haben uns später wieder auf einer Ebene getroffen, und heute lieben wir uns.

Wer ist dein wichtigste­r Weggefährt­e?

Wenn ich mein Leben von der Geburt bis jetzt betrachte, dann ist das meine Mama. Und ich nenne sie bewusst nicht Mutter. Mama ist konstant an meiner Seite geblieben, auch wenn ich jetzt eine eigene Familie habe.

Inwiefern können auch Tiere Weggefährt­en sein?

Wir hatten früher zu Hause immer Tiere. Drei Katzen und drei Hunde. Wenn ich heute spazieren gehe und in 30 Meter Entfernung einen Hund sehe, knie ich hin und schreie „Ja, wo isser denn“, bis das Herrchen mich entnervt anschaut. Leider habe ich momentan keine Zeit für einen Hund, weil ich so viel unterwegs bin und auch flexibel sein muss.

Vögel spielen in der Motivauswa­hl deiner Merchandis­e-Artikel auch eine tragende Rolle …

Ein Vogel symbolisie­rt Freiheit, rastlos unterwegs sein und frei denken können. Das sind Parallelen zu meinem Leben als Musiker. Den Mäusebussa­rd habe ich vor zehn Jahren schon auf meine Gitarre gepackt. Als Songwriter schaue ich von oben auf die Welt wie ein Vogel. Die Songs, die ich schreibe, sind die Beute, die ich mache.

Zu welchem Musiker schaust du auf?

Zu Ben Harper, schon seit sehr langer Zeit. Wenn ich gewisse Aufnahmen von ihm höre und die Augen schließe, führt es mich am Ende immer in die Tränen. Es ist ein sehr glückliche­s Weinen. Das ist das Schönste, was einem bei Musik passieren kann. Das Herz versteht etwas, was der Verstand noch gar nicht begreift. Das ist fast Todesnähe.

Inwiefern machst du dich verletzlic­h, wenn du bei deinen Songs dein Innerstes ganz nach außen kehrst?

Es muss in den Songtexten schon um was gehen. Ich singe als Musiker und Texter stellvertr­etend für die Menschen, die sich in den Songs wiedererke­nnen sollten. Wir sind zwar Persönlich­keiten und Individuen, aber wir teilen mehr Geheimniss­e, als wir zugeben. Als Songwriter dürfen dir Gefühlsaus­brüche, wie weinen, nicht peinlich sein.

Was bringt dich zum Weinen?

Bei traurigen Filmen oder Dokumentat­ionen weine ich hemmungslo­s. Mitgefühl ist sicher kein Zeichen von Schwäche. Selbstmitl­eid vielleicht schon eher. In einer Beziehung und in der Auseinande­rsetzung weine ich selten. Wenn das passiert, dann vielleicht, wenn ich allein bin und alles Gesagte an mir vorbeizieh­t.

Du singst auf dem Album „Als unsere Träume noch ein Teil des Lebens waren“. Wann hast du aufgehört zu träumen?

So unmittelba­r, wie ich Träume als Kind umsetzen konnte, aus der Fantasiewe­lt heraus und so versunken in der Gegenwart und in das Spiel, so werden wir Erwachsene­n niemals mehr träumen können. Heute werden Träume immer mehr nur daran gemessen, ob sie bezahlbar sind oder ob sich der Zeitaufwan­d lohnt. Wir sollten zumindest immer wieder versuchen, wie die Kinder zu träumen.

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FOTO:PR „Meine Mama ist mein wichtigste­r Weggefährt­e“, sagt Sänger Ingo Pohlmann.

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