Vorreiter im Hintertreffen
Der NSU Ro 80, der vor 50 Jahren vorgestellt wurde, ist bis heute eine verkannte Größe – Unnachahmliche Laufruhe des Wankelmotors
LIEDERBACH/INGOLSTADT (dpa) Er ist der Zeit so weit voraus gewesen, dass sie ihn bis heute nicht einholen konnte. Auch 50 Jahre nach dem Debüt ist der NSU Ro 80 noch eine verkannte Größe. Dabei hätte die erste Wankel-Limousine der Welt das Zeug dazu gehabt, das Bild vom Auto nachhaltig zu verändern.
Als NSU im September 1967 auf der Internationalen Automobil-Ausstellung den neuen Ro 80 enthüllte, wurden die Entwickler mit Lob und Anerkennung förmlich überschüttet. Eine Expertenjury kürte die Limousine, entworfen von Claus Luthe, zum „Auto des Jahres“– eine Premiere für eine Neuheit aus Deutschland. Die „Bild“-Zeitung stempelte sie gar zum „Retter der deutschen Auto-Ehre“, weil sie im Ro 80 das erste wirklich neue Auto seit 30 Jahren sah.
Grund für so viel Lob gab es reichlich, sagt Ronald Werner vom NSU Ro 80 Club aus Liederbach (Hessen). Er nennt vor allem vier Vorzüge, die den Ro 80 aus dem Kreis zeitgenössischer Konkurrenten wie Ford Taunus oder Opel Kapitän hervorstechen ließen.
Erstens: sein ebenso einfaches wie elegantes Design mit einem so günstigen Luftwiderstand, wie er von der Konkurrenz erst viele Jahre später erreicht wurde. Zweitens: einen ebensolchen Innenraum, der wegen des kompakten Motors mehr Platz bot als bei sehr viel größeren Konkurrenten. Drittens: wegweisende Sicherheits- und Fahrwerkstechnologien wie der seitliche Aufprallschutz oder das Zweikreis-Bremssystem. Viertens: der Wankelmotor, der mit seinen kreisenden Kolben eine unnachahmliche Laufruhe und einen unverwechselbaren Klang hat. „Der Ro 80 war seiner Zeit um Lichtjahre voraus“, sagt der Club-Präsident.
Geholfen hat das dem Flaggschiff des bis dahin vor allem auf Motorräder, Klein- und Sportwagen abonnierten Herstellers aus Neckarsulm nicht. Denn trotz der Lobeshymnen und der Innovationen, für die sich die Entwickler stolze vier Jahre Zeit genommen hatten, blieb der Erfolg aus. Nur 37 402 Autos wurden gebaut, bis die Produktion 1977 eingestellt wurde. Der Ro 80 galt als intellektuelles Konzept. „Das sicherte ihm vor allem unter den Selbstständigen und Akademikern einen Freundeskreis – nie aber genug Anhänger, um die Produktion rentabel zu machen“, sagt Werner. Zu seinen besten Zeiten wurden zwar knapp 8000 Autos jährlich gebaut, im Schnitt aber lag die Produktion bei nicht einmal 4000 Stück. 1977 fanden noch ganze 382 Autos einen Käufer, bis der letzte Ro 80 im August direkt vom Band ins Deutsche Museum rollte.
Dass die Bänder überhaupt so lange laufen durften, lag ganz bestimmt nicht an der Nachfrage. „Verantwortlich waren dafür wohl allein die Lizenzverträge, in denen sich NSU für zehn Jahre zur Produktion eines Wankel-Wagens verpflichtet hatte“, sagt Werner. 1969 wurde NSU von Audi übernommen, wo der Audi 100 seinen Aufstieg begonnen hatte und Ferdinand Piëch als Entwicklungschef in Ingolstadt ein erklärter Gegner des Wankelmotors war.
Dass der Ro 80 bei den Kunden durchfiel, hatte vor allem zwei Gründe, erklärt Andreas Meyer vom Ro 80 Club International in Grabenstätt (Bayern): den hohen Preis von anfangs 14 150 Mark, mit dem er rund 2000 Mark über einem vergleichbar starken Mercedes Strich-Acht lag,
„Der war einfach nicht zu Ende entwickelt.“ Andreas Meyer vom Ro 80 Club über die zunächst unzureichende Qualität des Wankelmotors
sowie die zunächst unzureichende Qualität des Motors: „Der war einfach nicht zu Ende entwickelt.“Zwar habe NSU großzügig nachgebessert, und ab 1970 seien die Probleme weitgehend behoben gewesen. „Von da an kamen die Wankelmotoren auf Laufleistungen von 200 000 Kilometern. Viel mehr haben die meisten Hubkolbenaggregate damals auch nicht geschafft.“Doch da war der Ruf schon ruiniert.
Bis heute hält sich hartnäckig das Gerücht vom typischen Wankelgruß, bei dem Ro-80-Fahrer mit der Zahl der erhobenen Finger signalisieren, wie viele Motoren sie schon ausgetauscht haben. Und auch die hohe Verbrauchsspanne der Wankelmotoren hat dem Ro 80 in Zeiten der aufziehenden Ölkrise sicher nicht geholfen, selbst wenn Meyer die 11,2 Liter Werksverbrauch nicht als problematisch einstuft.
Der Wankelmotor mag für den Ro 80 ein Fluch gewesen sein, weil er den Ruf des ansonsten so hoch gelobten Autos beschädigt hat. Aber er war auch ein Segen. Denn wer einmal einen Ro 80 gefahren hat, möchte das Gefühl nicht mehr missen: Viel leiser als jedes Auto der Neuzeit und kaum weniger komfortabel als zum Beispiel ein Audi A6 von heute nimmt er zügig Fahrt auf. Damals reichten ihm 12,8 Sekunden für den Spurt auf Tempo 100. Und auch heute wirkt der Zweischeiben-Kreiskolbenmotor mit seinen 115 PS immer noch stark. Dabei steuert man das 1,3 Tonnen schwere Auto dank seiner Servolenkung fast mit dem kleinen Finger und genießt eine Straßenlage, wie sie in einer aktuellen Limousine kaum besser sein könnte.
Bequemer als auf dem Sofa
Der Blick schweift über glänzend eloxierte Zierblenden um die großen Fenster und funkelnden Einstiegsleisten, bevor er nach draußen geht. Selbst im Fond sitzt man bequemer als auf manchem Fernsehsofa und genießt eine bessere Aussicht als in Golf & Co. Das verdanken die Hinterbänkler unter anderem dem großen Dreiecksfenster, das noch heute zum stilbildenden Merkmal bei Audi zählt und den NSU-Entwicklern so wichtig war, dass sie deshalb eigens einen Zacken in den Türausschnitt konstruiert haben.
Auf der linken Spur unterwegs
So wirkt der Ro 80 nach 50 Jahren noch nicht alt. Allerdings mag kaum einer heute noch die 180 km/h Höchstgeschwindigkeit fahren, die damals angegeben waren. „Doch wer einen Ro 80 besitzt, der fährt damit auch heute noch gerne lange Strecken“, sagt Meyer. Er selbst ist durchaus auch auf der linken Spur unterwegs und rühmt den NSU als Oldtimer, der noch immer gut im Straßenverkehr mitschwimmen könne.
Zwar zweifelt mittlerweile niemand mehr an den technischen Errungenschaften des NSU, und wer sich auch nur ein wenig mit der Geschichte der Autotechnik befasst, rühmt ihn als Meilenstein. Doch selbst als Oldtimer bleibt er eine verkannte Größe, die weit unter Wert als gehandelt wird. Fahrbereite Note-3Autos gibt es schon für 8000 Euro. Solide Autos im Zustand 2 schlagen mit 12 000 bis 15 000 Euro zu Buche, und selbst Oldtimer in Bestzustand kosten selten mehr als 20 000 Euro. Das ist ungewöhnlich für ein Auto, von dem so wenig Exemplare gebaut wurden und dessen Bestand in Deutschland mittlerweile unter 3000 Fahrzeuge geschrumpft sein dürfte, sagt Meyer. BMW- oder Mercedes-Modelle jener Zeit seien zwar in größerer Stückzahl produziert worden, würden aber trotzdem höher gehandelt.
Warum das so ist? Das kann sich Meyer nur mit der bis heute anhaltenden Skepsis gegenüber dem Wankelmotor erklären. Dabei sei diese Sorge völlig unbegründet: „Ja, die ersten Jahrgänge hatten ein Qualitätsproblem“, sagt er, „doch die problematischen Motoren der ersten Serien sind längst ausgetauscht.“Das Risiko sei deshalb bei einem Ro 80 nicht größer als bei jedem anderen Auto seines Alters.