Feldforschung
In Ulm tagen Truppenpsychologen aus aller Welt, um die Betreuung multinationaler Verbände zu verbessern
ULM - Deutsch, französisch, englisch: In der Militär-Kantine in Koulikoro, Mali herrscht Stimmengewirr. An einem Tisch sitzen Niederländer. Die Tschechen sind zum Rauchen vor die Tür gegangen. Soldaten aus 25 europäischen Nationen leisten hier Dienst. Sie bilden malische Kameraden aus. Mitten unter den Soldaten: ein deutscher Truppenpsychologe. War er bisher nur für Bundeswehr-Angehörige tätig, so ist er nun auch Ansprechpartner, wenn sich Franzosen, Engländer oder Iren an ihn wenden.
Dieses Szenario ist fiktiv. Aber bald schon könnte es Realität werden. Denn unterschiedliche Länder mit unterschiedlichen Kulturen entsenden ihre Soldaten immer öfter in gemeinsame Einsätze: Truppenpsychologen müssen dann möglichst alle Soldaten ihres international gemischten Verbandes verstehen, den jeweiligen sozialen und gesellschaftlichen Hintergrund kennen, nationale Eigenheiten respektieren. „Das ist eine große Herausforderung, denn nicht jede Nation kann in jeden Einsatz ihren eigenen Truppenpsychologen entsenden“, sagt Ulrike Beckmann-Zimmermann.
Die Regierungsdirektorin ist Truppenpsychologin beim Ulmer Multinationalen Kommando Operative Führung. Ab dem heutigen Montag hat Beckmann-Zimmermann mehr als 80 Psychologen aus aller Welt zu Gast in Ulm. Ihr Thema: „Wie kann die Wissenschaft die Praxis unterstützen? Wie können Praktiker Wissenschaftlern Impulse zu Forschungsfragen geben?“Damit beispielsweise ein französischer Psychologe im Einsatz künftig deutsche, englische und belgische Soldaten beraten kann. Weiter geht es um die Vernetzung der Militärpsychologen, um den Austausch von Erkenntnissen und Erfahrungen und um die mögliche Zusammenarbeit.
Psychologen waren bereits kurz nach der Gründung der Bundeswehr dabei, sie waren aber hauptsächlich in der Personalauswahl oder in der Forschung tätig. Truppenpsychologen, heute sind es knapp 90, gibt es bei der Bundeswehr erst seit Ende der 1990-er-Jahre. Die Truppenpsychologie orientiert sich in ihrem Wirken an dem präventiven Gedanken. Heute sind Seminare vor und nach Einsätzen Standard. Ähnlich der Aufrechterhaltung der physischen Fitness durch Sport sollen die Psychologen die psychische Fitness erhalten und steigern.
Die ersten Einsätze erfolgten einst in Bosnien. Beckmann-Zimmermann erinnert sich: „Gerade aus den Belastungen in den Einsätzen entstand die Erkenntnis, dass auch Soldaten psychologische Betreuung brauchen.“Etwa nach Extremsituationen: „Ich erinnere mich an Soldaten, die im Kosovo Leichen bergen mussten. Sie wurden den Geruch später nicht mehr los. Immer dann, wenn irgendwo gegrillt wurde, erinnerten sie sich an diese Situation.“Truppenpsychologen helfen, diese Belastung besser zu verarbeiten.
Zum Gespräch mit dem einzelnen Soldaten kommt die Beratung der militärischen Vorgesetzten. „Nach einem Gefecht beispielsweise können wir beurteilen, ob die Truppe, rein psychologisch gesehen, weiter durchhaltefähig ist“, berichtet Beckmann-Zimmermann aus der eigenen Einsatzerfahrung. „Wir können Tipps geben. Und manchmal ist es gut, Entscheidungen auch zu modifizieren. Nach lang anhaltenden Gefechtsbelastungen muss man vielleicht auch einmal eine geplante Operation verschieben.“
Die Truppenpsychologen im Ulmer Kommando, in dem heute bereits Soldaten aus 17 europäischen Armeen dienen, haben eine besondere Aufgabe. Sie müssen sich darauf vorbereiten, dass sie gerade in multinationalen Einheiten und Verbänden gefragt sind. Ein Einsatz in Mali, wie eingangs fiktiv geschildert, kann schon morgen Realität werden. „Es geht darum, das Verständnis für Angehörige verschiedener Nationen zu fördern, um die multinationale Zusammenarbeit zu verbessern“, sagt Ulrike Beckmann-Zimmermann.
Interkulturelle Kompetenz kann man aber lernen: „Wer nicht weiß, dass es in manchen Ländern nicht üblich ist, sich jeden Morgen die Hand zu geben, wird dies sehr schnell als unhöflich bewerten und sein Gegenüber als eingebildet abstempeln. Wer nur weiß, dass es weiße Schwäne gibt, wird einen schwarzen Schwan nicht als Schwan erkennen.“