Keiner hat den Blues wie er
Joe Bonamassa zeigt in Stuttgart, warum er als einer der weltweit besten Gitarristen gilt
STUTTGART - Er gilt derzeit als unangefochtener Bluesrock-Superstar: Joe Bonamassa hat am Freitagabend rund 4000 Konzertgänger in der Stuttgarter Porsche-Arena mit seinem Gitarrenspiel beeindruckt.
Das edle Sakko ist dunkel verfärbt, als Joe Bonamassa die Gitarre triumphierend in die Höhe reckt und von der Bühne geht. Durchgeschwitzt. Bis dahin wirkte er durch seinen typischen Look mit Sonnenbrille und Anzug die meiste Zeit eher wie Agent Smith aus den „Matrix“-Filmen. Und es gibt durchaus Stimmen, die ihm attestieren, ähnlich maschinell zu wirken wie das schick gekleidete Computerprogramm aus den philosophisch angehauchten Science-Fiction-Filmen.
Auch an diesem Abend in der Landeshauptstadt muss man sich manchmal fragen, ob da ein Mensch auf der Bühne steht. Einfach, weil es fast schon zu makellos ist, was Bonamassa aus den Gitarren, die er mehrfach wechselt, rausholt. Bluesige Tonfolgen, harte Rockriffs, unverschämte Grooves, halsbrecherische Soli – der Mann ist das, was man gemeinhin einen Saitenhexer nennt. Seit dem Erscheinen seines Debütalbums „A New Day Yesterday“vor 17 Jahren hat sich Bonamassa zu einem der besten Bluesmusiker des Planeten entwickelt, Grammynominierung und (unter anderem) eine Goldene Schallplatte für 100 000 verkaufte DVDs eines Konzertmitschnitts in der Royal Albert Hall in London inklusive.
Den Anfang an diesem Abend machen fünf Songs seines aktuellen Albums „Blues of Desperation“, unter anderem der Titeltrack. Mit dem 2016er-Werk erreichte er zum 16. Mal Platz eins der Billboard Charts, öfter als jeder andere Künstler vor ihm, wie seine Agentur stolz vermeldet. Der Titel des Albums führt dabei allerdings etwas auf die falsche Fährte, denn Joe Bonamassa spielt nicht nur Blues und ist genau deshalb jemand, auf den sich Musikfans unterschiedlichster Coleur einigen können. Das sieht man auch in Stuttgart. Da spielt der tätowierte bärtige Metaller Luftgitarre, daneben wippt der ergraute Funktionsjackenträger mit dem Fuß und noch eine Reihe weiter staunt ein Kind mit großen Augen über die Bühnenshow des Amerikaners.
Auch an der um zwei Sängerinnen und zwei Blechbläser verstärkten Begleitband lässt sich die musikalische Vielfalt, die von Big-Band-Sound über Jazz und Gospel bis hin zu hartem Rock reicht, ablesen – und die musikalische Klasse. Bonamassa stellt jedes Mitglied vor und nennt Künstler, mit denen seine musikalischen Mitstreiter ebenfalls schon gespielt haben. Keyboarder Reese Wynans etwa stand bereits mit dem 1990 tödlich verunglückten Blues-Giganten Stevie Ray Vaughn auf der Bühne.
Wer braucht schon Haare?
Und dann spielt Bonamassa mit der größten Selbstverständlichkeit in „Love Ain’t a Love Song“ein Wahnsinnssolo. Da stört nicht weiter, dass sich die Kommunikation mit dem Publikum auf ein paar Anekdoten beschränkt: Über seine Deutschkenntnisse („Danke“und „Bier“) sowie den 40. Geburtstag, den er heute feiert. Er habe sich mit vier nie träumen lassen, dass er Jahrzehnte später einmal so große Shows spielen werde. Allerdings hätte er auch nicht gedacht, dass sein Haupthaar da schon so schütter sei. Dann zieht er wieder so rasant vom Leder, dass sich die Frage stellt: Wer braucht schon Haare, wenn er so begnadet spielen kann? Im Lauf des Abends spielt sich Bonamassa in einen wahren Rausch, und immer dürfen Songs wie „Pretending“auch ausufern, es wird soliert und improvisiert. Es macht Spaß, sich mitreißen zu lassen von diesem Rausch.
Einen schalen Nachgeschmack hinterlassen indes die Kartenpreise. In der teuersten Kategorie zahlt der geneigte Konzertgänger 150 Euro. Royal Albert Hall hin oder her, Blues war mal die Musik der einfachen Arbeiter. Doch solche Preise machen Konzerte zu etwas, das sich eher das mittlere Management leisten kann. Bluesrock als Fall für die gut betuchte Klientel – so hatte sich das Blues-Urvater Robert Johnson damals wohl nicht vorgestellt.