Die Quereinsteigerin ist angekommen
Wirtschaftsministerin Hoffmeister-Kraut bekommt nach erstem Jahr viel Zuspruch
STUTTGART - Vor einem Jahr war Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) im politischen Stuttgart noch eine Unbekannte. Das hat sich geändert. In ihrem ersten Amtsjahr hat sich die Wirtschaftsministerin des Landes Baden-Württemberg einen Ruf als kompetente und zupackende Fachfrau erarbeitet. In das Loblied der Wirtschaftsbosse mischen sich aber auch Misstöne – zum Teil aus ihrer eigenen Fraktion, aber auch von den Gewerkschaften.
Während der grün-schwarzen Koalitionsverhandlungen nach der Landtagswahl blieb kaum etwas geheim. Vereinbarungen, Personalien – nach und nach drang fast alles an die Öffentlichkeit. Doch mit Hoffmeister-Kraut ist CDU-Landeschef Thomas Strobl ein Überraschungscoup gelungen. Im Gegensatz zu den anderen Mitgliedern des deutschlandweit ersten grün-schwarzen Landeskabinetts musste sie der Öffentlichkeit erst einmal vorgestellt werden.
Die promovierte Betriebswirtin kommt aus der Balinger Unternehmerfamilie Kraut, der die Firma Bizerba gehört. Bis zu ihrer Ernennung zur Ministerin war Nicole Hoffmeister-Kraut im Aufsichtsrat des bedeutenden Waagen-Herstellers, heute ist sie lediglich Gesellschafterin. „Wenn man selbst in einer Unternehmer-Familie groß geworden ist, bekommt man die Themen, die für die Wirtschaft von Bedeutung sind, täglich hautnah mit – im Positiven wie im Negativen“, sagt Hoffmeister-Kraut. „Das prägt einen natürlich.“
Ernennung nicht unumstritten
Diese Prägung kommt ihr in ihrem Amt zugute. „Sie hat ein tiefes Verständnis dafür, wie sich politische Vorgaben und Maßnahmen auf die betriebliche Praxis auswirken – und vor allem, welche Nöte für die Betriebe dadurch entstehen können“, lobt beispielsweise der Südwestmetall-Vorsitzende Stefan Wolf. Das zeichne sie aus im Vergleich zu ihrem Vorgänger, dem Juristen und ehemaligen SPD-Landeschef Nils Schmid. „Dieses Verständnis hätte man sich auch von ihrem Vorgänger gewünscht“, so Wolf.
Dennoch hatte sie es als politische Quereinsteigerin anfänglich nicht leicht. Während einige begrüßen, dass sie ohne Seilschaften und mit einem frischen Blick in die Landespolitik eingestiegen ist, bescheinigen ihr andere Unkenntnis der politischen Abläufe. Teile ihrer eigenen Fraktion, in die sie vor einem Jahr erstmals als Direktkandidatin des Wahlkreises Balingen gewählt wurde, hadern noch immer mit der Personalie – vor allem langjährige CDU-Abgeordnete, die sich selbst Hoffnungen auf das Ministeramt gemacht hatten. Hoffmeister-Kraut bleibt entspannt. „Ich habe mich in die Themen und parallel in die politischen Abläufe eingearbeitet. Es war ein schneller Lernprozess“, sagt sie. Dass sie eine extrem schnelle Auffassungsgabe hat, nennen gerade Politik-Veteranen aus ihrem Umfeld als eine ihrer größten Begabungen.
Ihre offene Art und ihre Fähigkeit zuzuhören wirken in persönlichen Gesprächen entwaffnend. Frontalangriffe, etwa auf den Koalitionspartner, startet sie nur dann, wenn es inhaltlich begründet ist. So mischte sie sich etwa in die Diskussion um Fahrverbote in Stuttgart ein und ermahnte Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) öffentlich, er solle mit dem „Diesel-Bashing“aufhören. Solche Angriffe sind selten. „Ich brauche nicht zu provozieren, das ist nicht mein Stil“, sagt sie.
Dass sie fließend Englisch spricht, beflügelt den Austausch auch mit Wirtschaftsvertretern aus dem Ausland – wie zuletzt bei ihrer Delegationsreise durch Israel mit dem Ziel, Impulse für die Themen Start-ups und Digitalisierung zu holen. Manchmal tut sich HoffmeisterKraut aber noch etwas schwer mit öffentlichen Auftritten. Dabei wirkt die sonst so lebhafte 44-Jährige mitunter etwas trocken und blass.
Stimme der Wirtschaft
Auch als Neuling in der Politik hat die Ministerin in ihrem ersten Jahr Weichen gestellt. „Sie greift die richtigen Themen an“, sagt etwa BWIHK-Chef Wolfgang Grenke und nennt unter anderem die Initiative „Wirtschaft 4.0“und die Förderung von Start-ups im Land. Das breite Themenfeld mache ihr Spaß, betont Hoffmeister-Kraut. „Ich kann in ganz vielen Politikbereichen direkt mitgestalten, als Stimme der Wirtschaft. Mein Anspruch ist es, da gezielt Einfluss zu nehmen, wo es nötig ist.“
Auch der DGB-Landesvorsitzende bescheinigt ihr engagiertes Arbeiten, „vor allem für die heimischen Betriebe, bei der Gestaltung des technologischen Wandels und in der Wohnungspolitik. Allerdings“, so Martin Kunzmann, „nehmen wir sie weitaus stärker als Wirtschaftsdenn als Arbeitsministerin wahr. Die Belange der Beschäftigten kommen häufig zu kurz, insbesondere bei den Themen Weiterbildung, Mitbestimmung und Arbeitsschutz.“
Eigentlich kam sie als frisch gewählte Abgeordnete vor einem Jahr nach Stuttgart, um sich bei wirtschaftsund bildungspolitischen Themen einzubringen. Stattdessen ist die Mutter von drei Töchtern im Alter von neun, elf und 14 Jahren nun als Ministerin häufig die ganze Woche und oft bis spätabends unterwegs. „Meine Familie steht für mich weiterhin an erster Stelle“, sagt sie. „Deshalb versuche ich, so oft es geht, wenigstens morgens meinen Töchtern die Brote zu schmieren und sie in die Schule zu bringen und mir wenigstens den Sonntag für die Familie freizuhalten.“Und sie ergänzt: „Ich bin froh, dass ich ein so ein gutes familiäres Netzwerk habe.“