Erste Schritte zum Goodbye
Vor allem über die Kosten für den Brexit sind sich Großbritannien und Europäische Union uneinig
BRÜSSEL (dpa/AFP) - Ein Jahr nach der Entscheidung der Briten für den EU-Austritt geht es los: Die Bedingungen der Scheidung werden seit Montag ausgehandelt. Die Europäische Union hat sich über Wochen akribisch vorbereitet und detaillierte Forderungskataloge veröffentlicht. Von britischer Seite sind weniger Details bekannt. Was sie durchsetzen will, steht im Wesentlichen im Austrittsgesuch von Premierministerin Theresa May vom 29. März und in einem sogenannten Weißbuch. Die Hintergründe zu den Brexit-Gesprächen:
Die Rechte der Bürger: Sowohl die EU als auch May bezeichnen es als besonders wichtig, die Zukunft der 3,2 Millionen EU-Bürger in Großbritannien und der 1,2 Millionen Briten auf dem Festland zu klären. Es geht vor allem um Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis sowie Zugang zu Sozialversicherungen. Die EU möchte, dass ihre in Großbritannien ansässigen Bürger dieselben Rechte behalten wie Einheimische und dass sie sie vor dem Europäischen Gerichtshof einklagen können. London schreibt als Vorschlag im Weißbuch nur, wer ununterbrochen fünf Jahre lang straffrei in Großbritannien – oder als Brite im Rest der EU – gelebt habe, habe automatisch ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht. Der britische Brexit-Minister David Davis ließ zudem vorige Woche Informationen über ein „großzügiges Angebot“durchsickern: Alle EU-Bürger, die vor dem britischen Austrittsgesuch vom 29. März nach Großbritannien kamen, sollen ihre bisherigen Rechte behalten, wie britische Medien berichteten. Die irische Frage: Irland bleibt EU-Mitglied, Nordirland geht mit Großbritannien raus aus der EU. Die Folge: Eine EU-Außengrenze durchtrennt die Insel, die derzeit als gemeinsamer Wirtschaftsraum funktioniert. Das ist politisch heikel, weil in Nordirland nach wie vor der Konflikt zwischen London-treuen Protestanten und republikanischen Katholiken schwelt, die Unabhängigkeit oder die Einheit mit Irland wollen. Sowohl die EU als auch die britische Regierung betonen, sie wollten eine neue befestigte Grenze unbedingt vermeiden.
Die Schlussrechnung: Die EU verlangt den britischen Anteil für Finanzentscheidungen, die man gemeinsam getroffen hat – für den EUHaushalt, gemeinsame Fonds oder Pensionslasten. Inoffizielle Berechnungen gehen von 100 Milliarden Euro oder mehr aus. Offiziell wird keine Zahl genannt. Vielmehr fordert die EU, sich auf eine Berechnungsmethode und einen britischen Anteil an EU-Finanzpflichten zum Zeitpunkt des Austritts zu einigen. Im Gegenzug soll Großbritannien weiter von bestehenden EU-Programmen profitieren dürfen. May hat nach EU-Angaben erklärt, ihr Land schulde der EU überhaupt nichts.
Warum haben die Finanzforderungen besondere Sprengkraft?
Das liegt an ihrer Höhe. Anfänglich wurden Beträge zwischen 40 bis 60 Milliarden Euro genannt. Der britische Außenminister Boris Johnson nannte alle derartigen Beträge „absurd“und drohte, Großbritannien könne auch gehen, „ohne überhaupt etwas zu bezahlen“.
Das Freihandelsabkommen: May will, dass Großbritannien aus dem Binnenmarkt und der Zollunion aus- scheidet. Stattdessen will sie ein „weitreichendes, mutiges und ambitioniertes Freihandelsabkommen“sowie ein neues Zollabkommen. Diese Verträge will May zusammen mit den Bedingungen der Trennung aushandeln – als Paketlösung. Die EU blockt das ab. Zuerst müssten „ausreichende Fortschritte“bei den drei genannten Hauptthemen der Trennung erzielt werden. Erst danach könnte es um die künftigen Beziehungen gehen. Ein Handelsabkommen könne erst nach dem Brexit Ende März 2019 geschlossen werden. Offenbar hat sich die britische Seite nun auf diese Abfolge eingelassen – so interpretiert jedenfalls Brüssel die Einigung auf den Verhandlungsstart am Montag.
Der Zeitplan für die Brexit-Gespräche: Nach Artikel 50 EU-Vertrag endet die britische EU-Mitgliedschaft zwei Jahre nach dem Austrittsantrag. Dies wäre am 29.März 2019 um Mitternacht. Barnier zufolge müssen die eigentlichen Verhandlungen bis Oktober 2018 abgeschlossen sein, damit die Vereinbarung von den Parlamenten beider Seiten rechtzeitig ratifiziert werden kann.
Eine mögliche Verlängerung der Verhandlungen: Nach Artikel 50 des EU-Vertrags ist das grundsätzlich möglich. Dadurch würde sich aber auch die Phase der Unsicherheit verlängern. Zudem müssten die anderen 27 EU-Länder einstimmig einer Verschiebung des Brexit-Datums zustimmen. Die Experten des Londoner Centre for European Reform bezweifeln, dass die EU dies tun wird. Denn „je kürzer für die Briten das Fenster zum Verhandeln ist, desto größer ist der Hebel für die EU in den Gesprächen“.