Wende im Fall Charlie Gard
Heute soll der englische High Court erneut über Tod oder Leben des schwerstkranken Babys entscheiden
LONDON - Der Streit um das Schicksal des todkranken britischen Babys Charlie Gard geht weiter. Heute Nachmittag muss sich erneut der englische High Court mit dem Wohl des elf Monate alten Kindes befassen, über dessen Zukunft die Eltern und die Ärzte an Londons berühmtem Kinderkrankenhaus Great Ormond Street (GOS) uneinig sind. Am Sonntag übergaben Unterstützer von Connie Yates und Chris Gard den Klinik-Verantwortlichen eine Petition mit 350 000 Unterschriften. Darin wird gefordert, der Ausreise des gehirngeschädigten Jungen zu neuartigen Therapieversuchen in Italien oder den USA zuzustimmen.
Kurioserweise hat den neuen Gerichtstermin die Klinik in London selbst veranlasst. Dabei sind die Verantwortlichen nach wie vor der Meinung, Charlie solle in Frieden sterben dürfen und nicht noch durch die Welt reisen müssen für Therapien, deren Wert selbst von Befürwortern als unsicher eingestuft wird. Offenbar will das Hospital sich absichern, nicht zuletzt gegen den Vorwurf, aus ärztlicher Eitelkeit dem kleinen Patienten mögliche Heilungschancen zu verbauen. Die behandelnden Ärzte sahen sich auch mit neuen Expertenmeinungen konfrontiert, die dem Krankenhaus in jüngster Zeit zugesandt worden seien.
Der Fall des an einer äußerst seltenen Genkrankheit leidenden Kindes beschäftigt seit Wochen nicht nur die Briten, sondern viele Menschen weltweit. Charlie kam im vergangenen August scheinbar gesund zur Welt, leidet aber an der extrem seltenen Gen-Krankheit Mitochondriale Myopathie. Diese führt zu einer schrittweisen Auszehrung vitaler Organe, nicht zuletzt zu schweren Gehirnschäden, Heilung gibt es bisher nicht.
Als die Ärzte Charlies künstliche Beatmung und Ernährung einstellen wollten, gingen dessen Eltern an die Öffentlichkeit – und erlebten sehr viel Hilfsbereitschaft. Mittlerweile stehen umgerechnet fast eineinhalb Millionen Euro bereit, um Charlies Transport in die USA und eine experimentelle Behandlung an der Columbia-Universität zu bezahlen. Nach Interventionen von Papst Franziskus sowie von US-Präsident Donald Trump erklärten sich mittlerweile zwei weitere Spitäler zu Charlies Aufnahme bereit. Im BambinoGesu-Krankenhaus in Rom wiesen Ärzte auf Experimente mit Mäusen und menschlichen Patienten hin; diese hätten bei vergleichbaren GenKrankheiten „dramatische Verbesserungen“gezeitigt. Ähnliche Hoffnung haben offenbar auch die Verantwortlichen des New Yorker Presbyterian Hospital. Das Londoner Krankenhaus wollte einer Verlegung aber nur zustimmen, wenn in Rom die per Gericht entschiedene Einstellung der lebenserhaltenden Maßnahmen umgesetzt werde. Für das Papstkrankenhaus kam dies jedoch nicht in Betracht, wie KlinikLeiterin Mariella Enoc erklärte.
Unter dem Druck der Hilfsangebote haben die Verantwortlichen im GOS nun offenbar eingelenkt. „Wie Charlies Eltern glauben auch wir, dass man den neuen Hinweisen nachgehen muss“, hieß es in einer Erklärung der Klinik. Allerdings steht der Hoffnung aus Rom und New York auch im neuen Gerichtsverfahren die in London vorherrschende Skepsis gegenüber. Nacheinander hatten High Court und Supreme Court den Medizinern, die Charlie Gard behandeln, recht gegeben. Die Behandlung und die vorhergehende Reise seien nicht nur zwecklos, sie könnten Charlie auch zusätzlich „Schmerz, Leiden und Elend“verursachen, mussten sich dessen Eltern vom Höchsten Gericht Großbritanniens sagen lassen. Auch Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sprach sich mit Verweis auf die englischen Entscheidungen für die Abschaltung der lebenserhaltenden Maßnahmen aus.