Wirtschaft fordert Brexit-Fahrplan
Kritik an britischer Haltung zu Beginn der neuen Verhandlungsrunde
OSNABRÜCK (AFP) - Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) mahnt bei den weiterhin schleppend verlaufenden BrexitVerhandlungen zwischen EU und Großbritannien einen konkreten Fahrplan sowie inhaltliche Schwerpunkte an. Laut DIHK hätten deutsche Unternehmen in Großbritannien mehr als 2000 Niederlassungen mit rund 400 000 Mitarbeitern. Von daher sei Eile geboten. Seit Montag verhandeln die EU und Großbritannien erstmals in Brüssel über den Brexit. Die Positionen liegen weit auseinander.
BRÜSSEL - Manchmal sagen Bilder mehr als tausend Worte. In dieser Woche soll es richtig losgehen mit den Brexitverhandlungen. Der britische Chefunterhändler David Davis zeigte sich in Brüssel am Montag freudestrahlend den Fotografen. Nach dem guten Start müsse nun „Substanz“in die Sache kommen, sagte er. Was er darunter versteht, blieb offen.
Während nämlich der EU-Chefunterhändler Michel Barnier und seine Stellvertreterin Sabine Weyand bei dem Treffen dicke Aktenstapel mitbrachten, war der Brite mit leeren Händen gekommen. Nicht einmal eine Stunde soll Davis’ Gespräch mit Barnier gedauert haben, da reiste der Brite schon wieder ab. Nach Darstellung des „Guardian“wurde Davis im Westminster-Parlament bei einer wichtigen Abstimmung gebraucht. Allerdings sorgte die ergebnislose Blitzvisite in Brüssel für Stirnrunzeln bei den Briten. Die Labour-Opposition wirft der Regierung von Theresa May vor, bei den Verhandlungen mit der EU unvorbereitet zu sein. „Wir brauchen eine neue Herangehensweise und wir wollen echte Fortschritte in Gesprächen“, forderte der BrexitBeauftragte von Labour, Keir Starmer.
Aufwendige Prozedur
Zu den strittigen Fragen gehört die Wahrung der Rechte von EU-Bürgern in Großbritannien nach der Trennung. May überbrachte dazu persönlich ein Angebot beim vergangenen Gipfel im Juni. Details wurden später nachgereicht. Von EU-Seite wird kritisiert, die Prozedur sei zu aufwendig, der Familiennachzug nicht gesichert. Die EU stört auch, dass als Referenz britisches Recht genannt wird, das sich nachträglich ändern könne. Deshalb, sagt man in Brüssel, müsse für die Betroffenen in letzter Instanz der Europäische Gerichtshof zuständig sein. Das ist jedoch aus der Sicht der Briten, die den ungeliebten EuGH loswerden wollen, eine Provokation.
Zu den drei anderen Bereichen (finanzielle Vereinbarung, Grenze nach Nordirland, Sonderregeln für in der EU zugelassene britische Produkte), schweigt sich die britische Seite aus. Sie müssen aber aus EU-Sicht geklärt sein, bevor ein neuer Partnerschaftsvertrag besprochen werden kann. „They can go whistle“hatte der britische Außenminister Boris Johnson im Unterhaus auf die Frage geantwortet, wie er die Austrittsrechnung der EU-Kommission von bis zu 100 Milliarden Euro bewerte.
Übersetzt heißt das: „Da können sie lange warten.“Eigentlich bedeutet „to whistle“pfeifen, weshalb Barnier gefragt wurde, ob er nach der britischen Pfeife zu tanzen gedenke. Dessen Antwort: „Ich kann niemanden pfeifen hören, ich höre nur die Uhr, die tickt.“Er wünsche sich einen geordneten Austritt. „Doch egal, ob wir ein Abkommen schließen oder nicht – am 30. März 2019 um Mitternacht wird Großbritannien ein Drittstaat.“Bei den Finanzforderungen gehe es nicht um eine Strafe, betont Barnier. „Wir verlangen lediglich, dass das Vereinigte Königreich die Zahlungen leistet, zu denen es sich vertraglich verpflichtet hat. Dafür gibt es eine rechtliche Grundlage.“Man könne über den einen oder anderen Posten reden, dazu seien Verhandlungen da. „Doch dazu muss die Gegenseite im Grundsatz anerkennen, dass sie diese Aufträge erteilt hat. Vertrauen entsteht, wenn man seine Rechnungen begleicht.“
Barnier, der als Brexitverhandler gern seine Erfahrungen als Regionalkommissar mit dem nordirischen Friedensprozess in die Waagschale wirft, steuerte Reminiszensen aus seiner Jugend bei: Als 21-Jähriger habe er für den Beitritt Großbritanniens zur EU geworben. „Keine Sekunde habe ich geglaubt, dass es um ein Land geht, das nicht Verantwortung übernimmt für seine Verpflichtungen.“
Diese Verpflichtungen sind milliardenschwer. Es geht um die Pensionszahlungen für britische EU-Beamte, die Umzugskosten für die Agenturen sowie Zahlungsverpflichtungen, die Großbritannien übernommen hat.