Berlin erhöht den Druck auf die Türkei
Regierung verschärft Reisehinweise – Ruf auch nach finanziellen Konsequenzen
BERLIN/ANKARA - Nach monatelangen Appellen zur Mäßigung hat die Bundesregierung der Türkei ein Stoppsignal gesetzt. „Wir erwarten die Rückkehr zu europäischen Werten“, sagte Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) am Donnerstag in Berlin und kündigte einen Kurswechsel und Konsequenzen an. Das sei mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Chef Martin Schulz abgesprochen. Die Neuausrichtung der Türkei-Politik sei „notwendig und unabdingbar“, ließ Merkel aus dem Urlaub über Regierungssprecher Steffen Seibert ausrichten.
Als Reaktion auf die Festnahmen des Menschenrechtlers Peter Steudtner und anderer Deutscher verschärfte das Auswärtige Amt seine Reisehinweise für das Urlaubsland. Türkei-Reisenden werde zu „erhöhter Vorsicht“geraten, sagte Gabriel.
Auch legt die Bundesregierung bereits bestehende und geplante Rüstungsprojekte mit der Türkei vorläufig auf Eis, wie die „Bild“-Zeitung unter Berufung auf Regierungskreise berichtet. Zudem stellt Deutschland die staatliche Absicherung von Türkei-Geschäften seiner Wirtschaft durch Hermes-Bürgschaften auf den Prüfstand. Investitionskredite und Wirtschaftshilfen müssten ebenso überdacht werden wie die EU-Heranführungshilfen, so Gabriel.
Dies dürfte jedoch schwierig werden. Laut EU-Kommission muss die Überprüfung von Zahlungen zunächst im Kreis der Mitgliedstaaten diskutiert werden. Alle Finanzierungsentscheidungen würden gemeinsam getroffen, erklärte ein Sprecher in Brüssel. Derzeit erhält die Türkei, wie andere Beitrittskandidaten auch, die sogenannten Heranführungshilfen, um die Anpassung an EU-Standards zu erleichtern. Im aktuellen Finanzzeitraum von 2014 bis 2020 sind 4,45 Milliarden Euro vorgesehen. Ausgezahlt sind laut EU bisher aber nur gut 190 Millionen Euro.
Ankara reagierte prompt: „Unsere Beziehungen können nicht auf der Grundlage von Erpressungen und Drohungen fortgesetzt werden, sondern nur mittels international anerkannter Normen und Prinzipien“, erklärte das türkische Außenministerium.
PARIS (dpa/AFP) - Der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat bei einem Besuch in Paris seine Kritik an der Europapolitik der Kanzlerin Angela Merkel (CDU) unterstrichen. Deutschland habe in Europa „zu oft einen eisernen Händedruck geboten, zu selten die Hand gereicht“, sagte Schulz am Donnerstag bei einer Rede vor Studenten. „Wir könnten heute schon viel weiter sein“, betonte der SPD-Chef mit Blick auf eine Weiterentwicklung der Europäischen Währungsunion. „Der Prozess wurde gebremst, besonders von der Zurückhaltung der Bundesregierung in Deutschland und insbesondere von Finanzminister (Wolfgang) Schäuble, unterstützt von Kanzlerin Merkel.“Zudem brauche es „dringend mehr“Investitionen in Europa, wie Schulz in der Pariser Elite-Hochschule Sciences Po sagte. Das sei eine „absolute Priorität“. Am Abend traf Schulz mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron zusammen.