Wirtschaft verliert Vertrauen in Türkei
Deutschland ist einer der wichtigsten Absatzmärkte für türkische Waren
ISTANBUL - Eine Warnung zeigt ihre Wirkung. Nach der jüngsten Androhung der Bundesregierung, HermesBürgschaften, Investitionskredite und Wirtschaftshilfen für deutsche Unternehmen in der Türkei auf den Prüfstand zu stellen, befürchtet Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan negative Folgen für sein Land. Die Türkei sei für deutsche Unternehmen sicher, betonte Erdogan am Freitag: „So, wie allen internationalen Investoren stehen auch deutschen Firmen die Türen unseres Landes und Herzen unseres Volkes sperrangelweit offen.“Firmen mit deutschen Wurzeln hätten „eine besondere Stellung“.
Erdogan klang zurückhaltender als früher und appellierte auch an Investoren aus der Golf-Region, sich in der Türkei zu engagieren. Auch Ministerpräsident Binali Yildirim rief zur Ruhe auf. Die derzeitigen türkisch-deutschen Differenzen ließen sich im Gespräch lösen, sagte er.
Firmen verlieren Vertrauen
Die Überprüfung der Hermes-Bürgschaften für Investitionen in der Türkei könnte zum Vertrauensverlust deutscher Unternehmen führen – und damit zu einem Schaden für die Wirtschaft. Mit den Bürgschaften haftet die Bundesregierung für mögliche Zahlungsausfälle. 2016 betrugen diese mehr als 1,1 Milliarden Euro. Die türkische Wirtschaft profitierte in den vergangenen Jahren unter anderem auch durch diese Zusicherung eines sicheren Rechtsumfelds für Investoren aus dem Ausland.
Die Ankündigung Deutschlands, die Bürgschaften auf den Prüfstand zu stellen, könnte zum Verzicht auf neue Investitionen führen oder gar die Abkehr westlicher Unternehmen aus dem Land zur Folge haben.
Schon seit einiger Zeit haben einige der 6800 deutschen Firmen in der Türkei Risiken gescheut. Das Handelsvolumen mit der Türkei unter dem Hermes-Schutzschirm ist 2016 nach Angaben des Wirtschaftsblattes „Capital“um rund die Hälfte gesunken. Als Grund für die Zurückhaltung hätten Unternehmen mangelndes Vertrauen in das Rechtswesen und die politische Stabilität des Landes genannt. Die verschärfte Gangart der Bundesregierung sorgt jetzt auch bei den baden-württembergischen Unternehmen für Verunsicherung. „In der aktuellen Situation ist an Neuinvestitionen von Betrieben aus dem Südwesten quer über alle Branchen kaum zu denken“, erklärte Wolfgang Grenke, Präsident des Baden-Württembergischen Industrieund Handelskammertags, am Freitag in Stuttgart.
Deutschland ist nach Angaben der deutschen Außenwirtschaftsagentur GTAI derzeit wichtigster Abnehmer türkischer Produkte und nach China zweitgrößter Lieferant des Landes. Zehn Prozent der türkischen Exporte – Güter im Wert von etwa 14 Milliarden Dollar im Jahr – gehen in die Bundesrepublik. Zum Vergleich: Der Türkei-Absatz für deutsche Firmen macht mit 22 Milliarden Euro weniger als zwei Prozent aus, die Türkei steht somit auf Platz 15.
Die türkische Wirtschaft, die einen jahrelangen Boom hinter sich hat, ist dringend auf gute Wirtschaftsbeziehungen und auf Importe angewiesen. Die Außenhandelsagentur spricht von einem „chronischen Defizit“des türkischen Außenhandels. Zurückzuführen ist dieses in erster Linie auf die Importabhängigkeit der lokalen Industrie, die Energieträger wie Erdöl und Erdgas sowie Rohstoffe und industrielle Halbwaren größtenteils aus dem Ausland einführen muss. Insgesamt hat die Türkei 2016 Waren im Wert von knapp 199 Milliarden Dollar eingeführt, 2013 waren es mit bis zu 252 Milliarden Dollar noch deutlich mehr. Dagegen standen im vergangenen Jahr Ausfuhren von lediglich 142 Milliarden Dollar. Ein Defizit in der Handelsbilanz bedeutet auch: Die Türkei ist zur Finanzierung der Einfuhren auf Kapitalimport angewiesen.
Die Bundesregierung hat zudem geplante und bereits bestehende Rüstungsprojekte mit der Türkei vorläufig auf Eis gelegt. „Es kommen derzeit alle Anträge für Rüstungsexporte auf den Prüfstand“, sagte eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums am Freitag in Berlin. Nähere Angaben machte sie nicht. Im vergangenen Jahr seien Genehmigungen für Rüstungsgüter im Wert von 83,9 Millionen Euro erteilt worden. In den ersten vier Monaten 2017 seien Rüstungsexporte im Umfang von 22 Millionen Euro genehmigt worden.