Der Härteste der Harten
Der neue Roman von Don Winslow
Don Winslows neuer Roman heißt „Corruption“. Der amerikanische Schriftsteller hat wieder einen fesselnden Thriller geschrieben. Doch „Corruption“ist auch das Gesellschaftspanorama einer korrupten Stadt und ein Abgesang auf New York. Der Ort, an dem im Hintergrund Politik gemacht wird, ist ein Penthouse mit Blick auf den Central Park. Es gehört einem einflussreichen Immobilienmilliardär. Bei ihm treffen sich die Chefs und Macher der New Yorker Politikund Finanzelite.
Die Reichen und die Korrupten
Man denkt unwillkürlich an den amtierenden US-Präsidenten, auch wenn Don Winslows ImmobilienMogul eher der Typ „Graue Eminenz“und weniger ein marodierender Narzisst ist. Immer wenn Denny Malone, Don Winslows Version eines bad cop, ins Penthouse einbestellt wird, kann er seine Abscheu kaum verbergen. Die Reichen und Schönen mag der Ich-Erzähler, also Denny, nicht sonderlich. Im immer noch dreckigen Teil des Stadtbezirks Harlem fühlt er sich dagegen zu Hause, obwohl hier eine der höchsten Kriminalitätsraten der Welt zu verzeichnen ist. Genau deshalb gibt es ja Malone und seine Taskforce. Sie sind die Stars unter den 38 000 New Yorker Polizisten, „die Besten, die Schnellsten, die Härtesten, die Fiesesten“– dummerweise aber auch die Korruptesten.
Malone & Co. kennen alle schmutzigen Tricks der Rechtsanwälte, Richter, Politiker, Immobilienhaie, Drogenkartelle und MafiaClans. Irgendwann waren sie aber nicht mehr nur Cops, sondern machten Geschäfte mit Mafia-Bossen. Und als sie einen großen Heroin-Deal aufdeckten, ließen sie einen Teil des Stoffes verschwinden, um ihn später selbst zu verkaufen. Ihre Rechtfertigung: Wenn das alle so machen, warum nicht auch wir? Dass Malone alle kennt, denen er Geldumschläge zugesteckt oder bei dubiosen Geschäften den Rücken freigehalten hat, ist sein Trumpf-As. Als ihn aber das FBI mit ziemlich fiesen Mitteln zwingt, sein Wissen preiszugeben, wird ihm das zum Verhängnis. Malone ist jetzt Kronzeuge der Bundespolizei – und für die Kollegen, die er ans Messer liefert, eine Ratte.
Don Winslow erzählt Malones Geschichte in einer für seine Verhältnisse ungewöhnlich entschleunigten Gangart, ganz anders als etwa im High-speed-Drogenkrimi „Kings of cool“(2012 von Oliver Stone verfilmt). Im Verlauf der ersten 200 Seiten wird der Leser elegisch ins korrupte Herz der Metropole eingeführt. Der einsame Wolf Denny Malone lebt getrennt von seiner Frau in einem kleinen Apartment, gerade groß genug für den Kleiderwechsel und die Alpträume. Dazu kommen zwei Kinder im Teenageralter, für die er so wenig Zeit hat wie für die neue Frau an seiner Seite: eine wunderschöne Afroamerikanerin mit einer gewissen Neigung zu harten Drogen.
Don Winslow stellt sein FigurenPersonal ethnisch ziemlich breit auf. Sein erzählerisches Eintauchen in den kriminellen Sumpf New Yorks kann er auf diese Weise elegant mit Gesellschaftsbeschreibungen und Reflexionen zum Stand der Moral unterfüttern.
Selbstzerstörerische Kräfte
Das erinnert an seinen großen Erfolg „Tage der Toten“(2005), mit dem er auf Platz eins der Krimi-Weltbestenliste landete. Damals ermittelte ein US-Agent im Geflecht der mexikanischen Drogenkartelle. Jetzt führt Don Winslow den Leser zurück in die Amtszeit des Law-and-Order-Bürgermeisters Rudolph Giuliani, der die Kriminalität in New York einzudämmen suchte, aber auch vornehmlich gegen Farbige gerichtete Polizeibrutalität zu verantworten hatte.
Das ist weiterhin eines der großen Probleme der USA. So gesehen ist „Corruption“, auch wenn Don Winslow auf zurückliegende Jahrzehnte zurückgreift, ein überaus aktueller Thriller. Am Ende weiß man: Korruption höhlt die Zivilgesellschaft aus, weil sie jeden von ganz oben bis ganz unten dazu verleitet, seine moralischen Koordinaten je nach Höhe der Bestechungssummen neu zu justieren. Denny Malone ist ein Role Model für diesen schleichenden Prozess der Selbstermächtigung und es sieht so aus, als habe Don Winslow schon vor der Ernennung Donald Trumps zum Präsidenten gewusst: Ein Land wie die USA braucht keine Feinde, es kann sich selbst zugrunde richten.