Wie ein Strich auf einer Landkarte Leben zerstört
Historiendrama mit einem Hauch von Bollywood: Gurinder Chadhas „Der Stern von Indien“
Der Stern von Indien ist ein britischer Orden, den bekam, wer sich um die Kolonie verdient gemacht hatte. Zum Beispiel Lord Louis … Mountbatten, der letzte Vizekönig von Indien. Ihn und seine Familie stellt Gurinder Chadha in den Mittelpunkt ihres Films. Die britische Regisseurin behandelt ein Thema, das uns hier nicht ganz so vertraut ist: die letzen Monate der britischen Herrschaft und die Teilung des Subkontinents in Indien und Pakistan im Jahre 1947.
Im Kopf abgespeichert (in den Bildern von Richard Attenboroughs Film) ist der gewaltlose Widerstand Gandhis, der zur Unabhängigkeit führte. Doch die Befreiung vom Joch des Kolonialismus ist nur eine Seite. Denn die Uneinigkeit der Parteien und Religionen führte zur Gründung von zwei Staaten auf dem Subkontinent. Und die war mit großem Leid für Millionen Hindus, Sikhs und Muslime verbunden. 14 Millionen Menschen verloren ihre Heimat, eine riesige Völkerwanderung begann. Muslime wurden aus Indien vertrieben, Hindus aus Pakistan. Die Teilung ging als Mountbatten-Plan in die Geschichtsbücher ein. Doch Gurinder Chadha erzählt eine andere Geschichte.
Denn sie stellt diesen hochdekorierten Kriegshelden und Aristokraten als Getriebenen dar. Was als „sein“Plan verkauft wird, ist in London schon beschlossene Sache, ehe der Vizekönig mit großem Bimborium in dem prächtigen Palast in Delhi ankommt. Chadha beruft sich auf Forschungen des indischen Diplomaten und Historikers Narendra Singh. Der war auf ein Dokument von 1945/46 gestoßen, aus dem hervorgeht, dass Großbritannien Angst hatte, bei einer eventuell kommunistischen Regierung in Indien nicht nur seinen Einfluss in Asien einzubüßen, sondern vor allem den Zugang zum Persischen Golf und damit den Zugang zum Öl zu verlieren. Deswegen hätte die britische Regierung schon sehr früh den Muslimführer Muhammad Ali Jinnah und seine Pläne für einen eigenen Staat in Nordindien unterstützt und Gandhi, der ein ungeteiltes Indien favorisierte, ins Leere laufen lassen. Die Neutralität der ehemaligen Kolonialherren war also nur vorgetäuscht. „Geschichte wird von Siegern geschrieben“, heißt es im Vorspann.
Ein großes Leinwandepos
Gurinder Chadha widerspricht. Die Regisseurin, die aus einer punjabischen Sikh-Familie stammt und als Journalistin bei der BBC gearbeitet hat, macht daraus aber keine trockene Geschichtsdokumentation, sondern ein großes Leinwandepos. Ihre Bewunderung für David Leans „Reise nach Indien“oder eben Attenboroughs „Gandhi“ist dem „Stern von Indien“anzusehen. Der Palast des Vizekönigs erstrahlt in seiner ganzen Monumentalität. Er ist ebenso ein Sinnbild des hypertrophen Repräsentationsstils der Kolonialherren wie des Subkontinents selbst. In „Viceroy’s House“, wie der Film im Original heißt, arbeiten 500 Angestellte - Hindus, Sikhs, Muslime. Nach der Teilung Indiens wird nicht nur das Inventar aufgeteilt – ein Besteckkasten für Indien, einer für Pakistan. und dem jungen Hindu Jeet Kumar Auch die Menschen müssen sich für ein Land entscheiden.
Dabei möchten das viele gar nicht. Zum Beispiel Jeet (Manish Dayal) und Aalia (Huma Qureshi). Er ist Hindu, sie Muslimin. In dieser Liebesgeschichte wird die große Politik gespiegelt und gezeigt, was ein Strich auf einer Landkarte für den Einzelnen bedeutet. Diese herzzerreißende Lovestory mag man für überdreht halten. Aber hier kommt ein Hauch von Bollywood ins Spiel. Der Film soll schließlich auch in Indien und Pakistan laufen.
Mit der Besetzung Hugh Bonnevilles als Mountbatten gibt es für das hiesige Publikum einen Wiedererkennungseffekt, der britische Schauspieler ist wohlbekannt als soignierter Herr von Downton Abbey. Auch als Vizekönig verströmt er jenen unterkühlten Charme und Jahrhundertealten Standesdünkel, den wir für typisch für die britische Aristokratie halten. Gillian Anderson spielt Lady Edwina als aufgeklärte, zupackende Person.
Gurinder Chadha, die durch Komödien wie „Kick it like Beckham“und „Liebe lieber indisch“bekannt geworden ist, steht nicht für avantgardistisches Arthouse-Kino. Aber sie erzählt mit traditionellen Mitteln eine Geschichte, die berührt, dabei schöne Bilder bietet und – was das Interessanteste ist: Der Film erhebt Einspruch gegen den Mythos, dass Großbritannien bei der Teilung Indiens keine eigenen Interessen verfolgt habe. „Der Stern von Indien“, Regie: Gurinder Chanda, Großbritannien/ Indien, 106 Minuten, FSK ab 6.