Mehr Gleichheit kann auch mehr Wachstum heißen
Es sollte eigentlich das große Wahlkampfthema von Martin Schulz werden: Gerechtigkeit. Denn das Gefühl wächst, dass die Schere in Deutschland weiter aufgeht, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden.
Das ist nicht nur ein Gefühl, meint die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung. Wenn sich Hartz-IV-Erhöhungen an der Inflationsrate und nicht an der realen Einkommenssteigerung messen, würden die Armen noch ärmer, so Professor Gustav A. Horn vom Institut für Makroökononomie und Konjunkturforschung (IMK).
Und dass es mehr Millionäre als früher gibt, ist auch keine Frage. Denn die Gewinne aus Vermögen und Aktien wachsen, während die kleinen Sparer keine Zinsen mehr bekommen. Doch was sind die richtigen Rezepte, um Ungleichheit zu reduzieren? Darüber gehen die Meinungen auseinander.
Für alle Parteien gilt nach wie vor eine gute Bildung als erste Voraussetzung für mehr Gerechtigkeit. Doch hier zeichnet sich seit Langem ein Trend ab, dass Kinder aus ärmeren Familien auch schlechtere Bildungschancen haben. Sie erreichen weniger oft das Abitur und ein Studium als Kinder aus Familien, in denen die Eltern auch Akademiker sind. Linke und SPD wollen diesem Trend entgegentreten, indem man Kita-, Schul- und Studiengebühren abschafft.
Vor allem linke Parteien wollen Gleichheit durch mehr Umverteilung, während Konservative mahnen, dass Gleichheit immer nur gleiche Startbedingungen heißen könne, dass es letztlich auf die Anstrengung des Einzelnen ankomme. Gustav A. Horn vom IMK sagt, dass mehr Gleichheit und stärkeres Wachstum keine Gegensätze seien, sondern dass sich gezeigt habe, dass mehr Gleichheit in einer Gesellschaft auch das Wirtschaftswachstum fördere.
Eine Unwucht in der Gesellschaft
Die vorliegenden Zahlen des IMK zeigen eine Unwucht in der Gesellschaft. Die obere Gruppe, also diejenigen, die mindestens 150 Prozent des durchschnittlichen Einkommens haben, hat von 1991 bis 2014 17 Prozent mehr Geld bekommen, die Mitte zehn Prozent und die untere Gruppe nur drei Prozent. Die Mittelschicht schrumpfe ständig.
Das IMK hält vier Maßnahmen für besonders wichtig, um diese Entwicklung zu stoppen. Zum einen müsse die Grundsteuer durch eine Bodenerwerbssteuer ersetzt werden, Tarifverträge müssten schneller für allgemeinverbindlich erklärt werden, ein bedingungsloses Kapitaleinkommen geschaffen und Hartz IV an die Reallohnentwicklung angepasst werden.
Unter einem bedingungslosen Kapitaleinkommen versteht das IMK, dass ein Staatsfonds geschaffen wird, der in Wertpapiere investiert und die Rendite jährlich zu gleichen Teilen an alle Bürger ausschüttet. Dies ist eine Maßnahme, die einige Jahre in Anspruch nehmen dürfte, bevor sie wirkt.
Daneben meint Gustav Horn, dass der Erbschaftsteuer nach wie vor große Bedeutung zukomme, wenn es darum gehe, Vermögen gerechter zu besteuern. Er hofft deshalb auf eine Neuregelung dieser Steuer nach einem neuen Urteil des Verfassungsgerichts.