Auslaufmodell Lebensversicherung
Die Assekuranz wickelt gut verzinste Altverträge ab – Das soll für Kunden keine Nachteile haben, doch die Aufsicht ist alarmiert
FRANKFURT - Sie machen sich davon, verkaufen ihre Kunden, manche stellen auch das Neugeschäft ein: Die Lebensversicherung macht der Branche vielfach keine Freude mehr. Zu groß waren die Versprechen der Vergangenheit, zu teuer wird es, diese Versprechen angesichts der Niedrigzinspolitik zu erfüllen. Wie weit das Image der Lebensversicherung gesunken ist, lässt sich ermessen, wenn Menschen in der Mitte des Lebens den gut 60-Jährigen fast mitleidig begegnen: „Ach ja, du gehörst ja noch zur Generation Lebensversicherung.“
Wer eine hat, scheint „out“zu sein. Und deshalb setzten viele Anbieter nun auf einen „Run-Off“. Sie laufen nicht wirklich weg, aber verkaufen mindestens die Alt-Kunden, also die mit hoher Garantieverzinsung in den Verträgen, an externe Abwickler, an sogenannte „Run-OffPlattformen“. Angeblich denkt dabei niemand daran, Verträge zu kündigen oder gegebene Zusagen, gar Garantien, einzuschränken. „Gegebene Zusagen der Vergangenheit werden wir erfüllen“, versicherte der gerade aus dem Amt geschiedene Präsident des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Alexander Erdland, vergangene Woche auf dem Versicherungstag 2017. Axel Kleinlein, Vorstandssprecher des Bundes der Versicherten (BdV), argwöhnt jedoch: „Wenn Traditionsversicherer erst den eigenen Namen verleugnen und dann die Verträge verschachern wollen, dann liegt etwas tief im Argen.“
Es geht um mehrere Millionen Verträge. Es häufte sich diese Woche. Die italienische Generali will ihr Deutschland-Geschäft verschlanken, gibt die Marke Aachen-Münchener und Central Krankenversicherung auf, benennt sie in „Generali“um und denkt laut darüber nach, zugleich rund vier Millionen Lebensversicherungsverträge an einen Abwickler zu verkaufen. Sicher ist, dass sie Neugeschäft nicht mehr annimmt. Deshalb wechseln etwa 2800 Versicherungsvertreter zum Frankfurter Vertriebsgiganten DVAG.
Auch die beiden Lebensversicherungstöchter der Ergo, die Ergo-Leben und die Victoria, steigen aus dem Neugeschäft aus. Neue, meist fondsgebundene Lebensversicherungen, werden nur noch ohne Garantien über eine andere Tochter angeboten. Ein Bestand von sechs Millionen Verträgen, auch mit teils hohen Zinsgarantien, würde Ergo gerne an eine „Run-Off-Plattform“verkaufen. Und der Dritte im Bunde, die Axa, denkt ähnlich. Gegenüber der „Börsen-Zeitung“sagte Axa-Vorstand Alexander Vollert zwar, die Lebensversicherung werde zwar weiter ein wichtiges Standbein des Konzerns sein. Für die Altbestände, die mit den hohen Garantien, seien Abwickler aber eine Option.
Bafin will Versicherte schützen
Immerhin sagte Vollert dazu: „Über allem steht, dass es für den Kunden nicht zum Nachteil sein darf, wenn sein Vertrag von einer Abwicklungsplattform verwaltet wird.“Da ist auch die Versicherungsaufsicht gefragt. Frank Grund, Exekutivdirektor Versicherung bei der Bankenaufsicht Bafin, sagt ganz deutlich, solch ein Verkauf sei alles andere als ein Allheilmittel: „Die gesetzlichen Hürden sind so hoch, dass sich eine Übertragung für den Käufer selten lohnt“, warnte er bei der Jahrespressekonferenz der Bafin: „Denn die Bafin wird die Belange der Versicherten wahren, und das kann für die Übernehmer teuer werden.“
Für untauglich hält die Bafin solche Abwickler allerdings auch nicht. Die müssten schon „große Kostenvorteile“erwirtschaften können, „durch eine besonders leistungsfähige IT oder etwa eine wesentlich schlankere Organisation“. Daran mag der Bund der Versicherten nicht glauben: „Wenn ein Investor diese Bestände kauft, dann tut er das mit dem Ziel, möglichst viel Rendite zu erwirtschaften“, unterstellt BdVVorstand Kleinlein: „Das geht aber nur, wenn er den Versicherten möglichst viele Überschüsse vorenthält und in die eigene Tasche steckt.“Kleinlein spricht von einem „Erdbeben in der deutschen Versicherungslandschaft“.
Ausgelöst haben das „Erdbeben“die Gier der Versicherungen und ihrer Vertreter und die Niedrigzinspolitik der Notenbanken seit der Finanzkrise 2008. Die Unternehmen haben es geschafft, das Sicherheitsdenken der Deutschen in gute Geschäfte und – zugegeben – auch riesige Vermögen umzusetzen. Die deutschen Lebensversicherer haben voriges Jahr 885,1 Milliarden Euro als Kapitalanlagen ausgewiesen. Das waren 67,5 Prozent aller Kapitalanlagen der Branche. Zuletzt bestanden 85 Millionen klassische Lebensversicherungsverträge.
Vor 30 Jahren haben die Unternehmen ihren Kunden noch 6,1 Prozent der Beiträge als „Verwaltungskosten“abgeknöpft. Die Provisionen für die Vertreter kamen noch obendrauf. Mittlerweile sind die Verwaltungskosten auf 2,3 Prozent gesunken. Die Abschlusskosten, überwiegend der Lohn der Berater also, sanken von 5,5 (1995) auf 4,8 Prozent im vorigen Jahr. Damit fließen also immer noch erst einmal sieben Prozent nicht auf das Versicherungskonto des Kunden. Sie können sich dort also auch nicht mehr vermehren.
Dass die garantierte Verzinsung von 4,0 Prozent für Verträge aus den 1990er-Jahren und selbst die 2,25 Prozent für zwischen 2007 bis 2011 abgeschlossene Verträge nicht mehr erwirtschaftet werden kann, hängt aber vor allem an den niedrigen Zinsen. So liegt der Leitzins der Europäischen Zentralbank seit März 2016 bei null Prozent. Deutsche Bundesanleihen mit langer Laufzeit, die Papiere also, die als sicher gelten und in die Lebensversicherungen deshalb gerne investieren sollen und müssen, werfen derzeit knapp 0,5 Prozent ab. Es waren im August 2016 auch schon einmal minus 0,2 Prozent. Damit lassen sich Garantiezinsen von vier Prozent nicht erwirtschaften. Und die alten Anleihen, mit denen das noch möglich war, laufen langsam aus. So wie jetzt das Geschäftsmodell der Lebensversicherung.