Verlogene Eltern, haltlose Jugend
„Das Verschwinden“– Aufwühlende Miniserie über Crystal Meth in der Provinz
BERLIN (dpa) - Hans-Christian Schmids „Das Verschwinden“ist eine Miniserie nach amerikanischem und skandinavischem Vorbild. Ab Sonntag laufen die acht Folgen in der ARD – mit einer herausragenden Julia Jentsch in der Hauptrolle.
Nebelschleier streifen über dicht bewaldete Hügel, Laub verfärbt sich herbstlich gelb und rot. Idyllisch schaut es aus im Niederbayerischen, nahe der deutsch-tschechischen Grenze. Wenn sich dort zwischen Nadelbäumen in der Morgendämmerung ein Gewehrlauf langsam auf ein Stück Wild richtet, verheißt das nichts Gutes. Und so kommt es dann auch, wobei Hans-Christian Schmids „Das Verschwinden“alles andere als ein üblicher Provinzkrimi ist.
Mit der achtteiligen Miniserie wendet sich der preisgekrönte Kinoregisseur („Requiem“, „Was bleibt“) dem Fernsehen zu. Mit großer Resonanz hat das Stück im Sommer auf dem Münchner Filmfest Premiere gefeiert. Erzählt wird eine Woche im Leben der alleinerziehenden Altenpflegerin Michelle Grabowski (Julia Jentsch). Deren 20-jährige Tochter Janine (Elisa Schlott) scheint unter mysteriösen Umständen wie vom Erdboden verschluckt.
Die Vermisstenanzeige der Mutter landet schnell in den Akten der Polizei. Niemand mag an ein Verbrechen glauben. So sieht sich Michelle gezwungen, auf eigene Faust auf die Suche zu gehen. Sie ist schockiert, was sie über ihre Tochter und deren Umfeld in Erfahrung bringt.
Die Droge Crystal Meth, in Tschechien gebraut, spielt dabei eine Rolle. Der türkischstämmige Kleindealer Tarik (Mehmet Atesci) verhökert sie an Janines Freundinnen Manu (Johanna Ingelfinger) und Laura (Saskia Rosendahl). Manus Eltern (Sebastian Blomberg und Nina Kunzendorf ) scheinen in Bezug auf das Treiben ihrer Tochter genauso ahnungslos wie Michelle. Manus Vater ist als Bauunternehmer eine örtliche Größe und hat Janine einst beschäftigt. Lauras tiefreligiöse Eltern (Caroline Ebner, Michael Grimm) müssen erfahren, dass ihre Tochter der schwerkranken Mutter Geld stiehlt.
Das Drehbuch hat Schmid (52) mit seinem Weggefährten Bernd Lange verfasst, die außerordentliche Kameraführung verantwortet Yoshi Heimrath. Der Film, der das Geschehen oft in seltsam starren sowie diesig grellen Bildern einfängt, entwickelt von Anfang an Sogwirkung. Der Zuschauer wähnt sich dem Durchschnittsleben im Bayerischen Wald nahe, bangt mit Michelle. Eindringlich zurückgenommen verkörpert Jentsch diese Figur, liebend, existenziell aufgewühlt – und völlig überfordert. Je mehr sie sucht, desto mehr dringt sie in ein Gespinst aus Kriminalität, Lügen, familiären Abgründen und der Haltlosigkeit junger Menschen. Bald ist ein Sündenbock, ein sozialer Außenseiter, gefunden und geopfert. Und schmerzlich muss Michelle, nachdem Schreckliches passiert ist, erkennen, dass gerade sie ihren Teil zu den Verfehlungen der Erwachsenen beigetragen hat. Das Verschwinden. Ab Sonntag, 22. Oktober, an vier Abenden jeweils um 21.45 Uhr in der ARD.