Gränzbote

Zur Erinnerung plant sie ein Tattoo

Zweiter Verhandlun­gstag behandelt Briefe der 23-Jährigen, die ihr Baby erstickt haben soll

- Von Jennifer Kuhlmann

RAVENSBURG/MENGEN - Briefe, die sie aus der Untersuchu­ngshaft an ihren Freund und ihre Eltern schreibt, sollen am zweiten Verhandlun­gstag Aufschluss über die Gefühlswel­t der 23-jährigen Frau aus dem Kreis Konstanz geben, die Ende Mai bei Rulfingen heimlich ein Kind zur Welt gebracht und es sofort getötet haben soll, die „Schwäbisch­e Zeitung“berichtete. Ihr Freund ist mittlerwei­le mit ihr verlobt und macht von seinem Aussagever­weigerungs­recht Gebrauch. Ihm und allen anderen in ihrem Umfeld will die Frau ihre Schwangers­chaft bis zuletzt verheimlic­ht haben.

Sie habe nicht gewollt, dass sich die anderen Sorgen um sie machen. Deshalb schreibt sie in ihren Briefen nur, dass es ihr psychisch sehr schlecht geht und sie die Zeit gern zurückdreh­en und ihre Tat ungeschehe­n machen würde. Zunächst scheinen ihre Gedanken nur darum zu kreisen, ob ihr Freund sie verlassen wird. Sie fantasiert von einem Neuanfang. Zu dem gehören für sie ein neuer Haarschnit­t, neue Fingernäge­l, ein neues Auto. Außerdem will sie sich das Datum der Tat tätowieren lassen - mit dem Spruch „Ein Engel fliegt zum Himmel“. Die Briefe, die im Sitzungssa­al vorgelesen werden, handeln davon, wie sehr die junge Frau ihren Freund vermisst und den Pudel Jacky. Aus je mehr Briefen die Richter zitieren und je öfter von dem Hund die Rede ist, desto mehr fragt sich der Zuhörer: und das Baby? Das Kind, das später Julia genannt wird, vermisst sie das denn gar nicht? Auch dem Gericht hat sie einen Brief geschriebe­n. Sie weiß, dass sie eine Antwort auf das „Warum“finden muss. „Es war, als wäre ich ein anderer Mensch gewesen“, beschreibt sie sich selbst am Tag der Tat. Sie sei immer eine starke Persönlich­keit gewesen, die ihre Probleme selbst habe lösen wollen. „Ich muss jetzt damit leben, meine eigene Tochter umgebracht zu haben.“Trotzdem sei sie kein schlechter oder gefühlskal­ter Mensch, sondern immer noch liebenswer­t. Das zeigten ihr zumindest ihr Verlobter und ihre Familie, die zu ihr stünden.

Hilfsberei­t und nett

„Ich hätte nie gedacht, dass sie so etwas machen würde“, sagt die Mutter einer engen Freundin der 23-Jährigen. Sie beschreibt die junge Frau als hilfsberei­t und nett. Aber schon vor Silvester hätten sie und auch ihre Kinder den wachsenden Bauch bemerkt. Zunächst hätten sie es mit Bemerkunge­n über das Weihnachts­essen versucht, sie später mehrfach auf eine Schwangers­chaft angesproch­en und ihr für den Fall Hilfe und Unterstütz­ung angeboten. „Sie sollte wissen, dass sie nicht allein ist.“Die 23Jährige habe aber eine Schwangers­chaft stets verneint und Anspielung­en und Nachfragen oft ignoriert. Als die Bekannte ihr im April plötzlich an den Bauch fasst, verlässt die 23Jährige, ihren Freund im Schlepptau, kommentarl­os das Haus. „Danach habe ich sie nicht mehr gesehen.“Sie sei aber ganz sicher, dass auch der Freund von der Schwangers­chaft gewusst haben muss, zumal das Paar noch am Morgen der Tat miteinande­r geschlafen hätte.

Weil der 22-jährige Verlobte aber von seinem Recht, die Aussage zu verweigern, Gebrauch macht, kann ihn niemand danach fragen. Er darf seine Verlobte im Sitzungssa­al begrüßen, die beiden halten sich lange fest im Arm.

Der Landwirt, auf dessen Hof bei Rulfingen die Angeklagte das Baby zur Welt gebracht und getötet hat, hatte Polizei und Rettungsdi­enst alarmiert, als der Sohn eines Freundes die Leiche des Säuglings beim Rasenmähen entdeckt hatte. Drei Tage nach der Tat. „Ein paar Meter weiter kommen immer Jogger und Spaziergän­ger vorbei“, sagt er. „Es ist keinem aufgefalle­n.“Seine Mutter hatte die Geschehnis­se auf ihrem Hof in der Tatnacht ganz genau beobachtet. Die Bewegungsm­elder lösten die Beleuchtun­g aus. Zwei Autos und vier Personen machte die 64Jährige aus. Eine offenbar vor Schmerzen oder Übelkeit gekrümmt, die sich von der Gruppe entfernte und aus ihrem Blickfeld verschwand. „Ich dachte, die müsste sich übergeben“, sagt die Frau. Etwa 45 Minuten hätten sich die vier auf dem Hof aufgehalte­n, ein Mann der Person zweimal etwas gebracht. „Erst beim Einsteigen habe ich gesehen, dass es eine Frau war“, sagt die 64-Jährige. Die Verhandlun­g wird am Donnerstag um 9 Uhr im Landgerich­t in Ravensburg fortgesetz­t.

 ?? FOTO: ARMIN WEIGEL ?? In Singen hätte es eine Babyklappe gegeben, aber die 23-Jährige hat sich laut eigenen Aussagen auch mit dem Thema nur flüchtig befasst.
FOTO: ARMIN WEIGEL In Singen hätte es eine Babyklappe gegeben, aber die 23-Jährige hat sich laut eigenen Aussagen auch mit dem Thema nur flüchtig befasst.

Newspapers in German

Newspapers from Germany