Wenn der Vater mit dem Sohne
Jakob Augstein im Gespräch mit Martin Walser – ein Lebensgespräch in Buchform
Zugegeben: Das ist ein eher ungewöhnlicher Anlass für solch ein tiefgründiges Gespräch, das uns jetzt in Buchform vorliegt. Martin Walser und Jakob Augstein, der erst nach dem Tod von Rudolf Augstein erfahren hat, dass er nicht der leibliche Sohn des „Spiegel“-Herausgebers, sondern ein Kind des Schriftstellers Martin Walser ist. Beide haben sich zum Gipfel-Gespräch getroffen und nehmen die Sicht auf das Leben „wortwörtlich“. Daraus hat der Journalist Jakob Augstein ein schönes Buch gemacht, das sich trefflich liest und einen Einblick in die Gedankenwelt von Vater und Sohn gewährt.
Keine gemeinsame Erfahrung
Beide wussten vor diesem reichlich späten Austausch nicht allzu viel voneinander. Jakob Augstein ist als der Fragende derjenige, der seinem 90jährigen Vater Bekenntnisse und Erfahrungen entlockt. Und Walser, der keine Autobiografie schreiben will, nimmt die Gelegenheit wahr, um über sein Leben zu referieren. Der Brunnen springt dabei nicht nur, sondern droht mitunter überzulaufen, was den Reiz der Lektüre noch erhöht. Nun hat der Dichter in Walser sich immer schon in einer intellektuellen Entblößungsroutine gefallen. Als junger Soldat rettet er sich im Krieg mit Stefan George vor dem blödsinnigen Alltag um ihn herum. Novalis, Kafka, Nietzsche und Hölderlin sind seine Hausgötter. Aber dass er sich jetzt auf ein Befragen nach seinem Handeln eingelassen hat, lässt auch das Vertrauen sichtbar werden, das er in den 40 Jahre jüngeren Sohn setzt – und nicht enttäuscht wird.
Beiden ist klar, dass es sich bei diesem „Unternehmen“um ein Abenteuer handelt. Jakob Augsteins Fragen sind mindestens so klug wie Walsers Antworten, die allerlei Fluchten in das philosophische Zwischenspiel von Dichtung und Wahrheit eröffnen. Und wenn beide Gesprächspartner sehr oft auch die Grenze zum Indiskreten erreichen, kommt es doch nie zur Überschreitung. Es geht beiden um Offenheit in beidseitigem Respekt, auch wenn die Lüge als literarisches Phänomen begriffen wird. Die angestrebte Wortwörtlichkeit lässt eben auch der Lüge ihren Platz. Wenn Walser über seine Jugend in Wasserburg oder seine ersten Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht erzählt, beharrt er darauf, dass es keine Grenze der Nachsicht mit sich selbst gibt.
Walser und sein Sohn haben völlig unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Dem Sohn fällt es schwer, nachzuvollziehen, dass die Walsers keine Antifaschisten waren, dass sie die Nazis gleichmütig hingenommen haben und seine Großmutter sogar in die NSDAP eingetreten ist, um das Gasthaus zu erhalten. „Als Kind bist du kein Antifaschist!“, sagt der Vater und bittet um Gefühlsvorsicht bei solchen Debatten.
Schreiben ist für Walser ein „Entblößungsverbergungsvorgang“: „Meine Arbeit: Etwas so schön zu sagen, wie es ist.“„Schreiben ist wie Glauben?“, fragt der Sohn. Antwortet der Vater: „Gott ist das, was einem fehlt.“Überhaupt greift Walser auch hier tief in seinen Kierkegaard-Vorrat. Man darf sein enormes Gedächtnis bewundern, auch bei seinem Zitatenschatz.
Er weiß, wann seine Freiheit als Autor bedroht ist. „Geld ist das Gegenteil von Angst: Das Wichtigste ist Unabhängigkeit. Solange man Geld verdienen muss, muss man sich beleidigen lassen.“
Freundschaft unter seinesgleichen? Auch ein heikles Thema. Mit dem politisch überengagierten Schriftsteller der Nachkriegszeit konnte Walser sowieso nichts anfangen. Früher hat er sich noch für den Sozialismus erwärmt. Heute räumt er ihm keine Chance mehr ein, wünscht ihm auch keine. „Du klingst wie Dagobert Duck“, kommentiert der Sohn.
Das heikelste Thema bei dieser „Lebensbeichte“ist das Thema Sex. „Fällt es dir leicht, über Sex zu sprechen?“, fragt Jakob. Antwort: „Jakob, das geht jetzt sehr weit, oder?“Aber schon greift der Dichter zum Rettungsanker: „Die Liebe der Körper ist nichts, wenn die Poesie fehlt.“
Und der Streit mit Reich-Ranicki? Die Friedenspreisrede von 1998, die Auseinandersetzung mit Bubis, dessen Vorwurf des Antisemitismus Walser tief getroffen hatte. Walser geht es nach wie vor um Literatur – nicht als Erklärung, sondern als Weltverklärung.
Mag sein, dass dieses fabelhaft geführte Gespräch mit dem „Abstammungsthema“(Walser) im Hintergrund für Vater und Sohn etwas Befreiendes dargestellt hat. Für den Leser ist die Lektüre ein nicht minder großer Gewinn. Martin Walser und Jakob Augstein: Das Leben wortwörtlich. Ein Gespräch. Rowohlt.352 Seiten, 19,95 Euro.