Perfekte Pisten, hohe Kochkunst
Im Trentino in den Dolomiten mit seiner guten Küche ist der Einkehrschwung für Skifahrer ein Genuss
Der Schnee ist wunderbar griffig. Die Pisten sind perfekt gewalzt, nirgendwo eine Eisplatte oder ein Buckel. Die Carver drehen auf dem weißen Teppich wie von selbst und der Blick schweift über ein Panorama, das Weltkulturerbe ist: die bizarren, steil in den blauen Himmel aufragenden Kalksteinwände der Dolomiten, die jetzt um diese Jahreszeit mit Puderzucker bestäubt sind. Ja, die Italiener können nicht nur leckeres Speiseeis machen, sondern bei Bedarf auch perfekten Kunstschnee. Skifahrer, die von Deutschland aus über den Brenner kommen, biegen meistens ab Richtung Kronplatz oder Gröden. Wer italienisches Flair liebt, für den lohnt es sich, bis Bozen weiterzufahren und dann hinein ins Zentrum der Dolomiten – ins Trentino. Dort, wo noch Ladinisch gesprochen wird und die Häuser im Dorf mit Fassadenmalereien verziert sind.
Das gesamte Val di Fassa umfasst sieben Gemeinden: von Moena über Pozza di Fassa bis Canazei. Das Tal zählt zur Dolomiti-Superski-Region, die mit 1200 Pistenkilometern als weltweit größtes Wintersportgebiet gilt. Hänge in allen Schwierigkeitsgraden warten auf die Skifahrer und Snowboarder. Manche Abfahrten führen sogar nah am Fels vorbei. Das Problem ist, dass die verschiedenen Pisten nicht immer mit Liften verbunden sind. Insgesamt konkurriert ein Dutzend Skigebiete um die Feriengäste. Im Val di Fassa fährt immerhin ein kostenloser Skibus von Ort zu Ort. Rühmliche Ausnahme ist der Einstieg in die Sellaronda. 2015 wurde eine neue Seilbahn gebaut, die nun die Hänge bei Pozza di Fassa mit der berühmten Rundtour verbindet.
Riccardo Franceschetti, leidenschaftlicher Skilehrer und früher Bürgermeister von Moena, weiß, dass der Wintertourismus für die Einheimischen im Val di Fassa die wichtigste Einnahmequelle ist. „Deshalb investieren wir auch immer wieder in die kleineren Skigebiete, damit sie nicht abgehängt werden“, erzählt er. So wurde zum Beispiel am San Pellegrino, der oberhalb von Moena liegt, Geld in neue Lifte und Beschneiungsanlagen investiert. Die blauen und roten Pisten sind ideal für Familien mit Kindern. „Aber auch Champions kommen hier auf ihre Kosten“, sagt Riccardo freudestrahlend. Er spricht die neue schwarze „Volata“an. Der technisch anspruchsvolle Steilhang startet in 2510 Metern Höhe am Col Margherita und führt hinunter bis auf knapp 1900 Meter. Übrigens ist es nicht ausgeschlossen, dass hier plötzlich azurblaue Pfeile an einem vorbeischießen. Die Pisten des Val di Fassa sind seit Jahren Trainingsgelände der italienischen Alpin-Nationalmannschaft.
Wenige Kilometer weiter befindet sich das Skigebiet Val di Fiemme. Hier wurden mehrmals die nordischen Ski-Weltmeisterschaften ausgetragen. Die Gegend ist bekannt für Hunderte von Loipenkilometern. Doch damit nicht genug. An den Hängen der beeindruckenden Latemargruppe kann man auch über herrlich breite Pisten bis hinüber ins nächste Tal schaukeln: nach Obereggen in Südtirol. Eine Attraktion ist hier die schlichte Architektur des neuen Bergrestaurants mit Panoramaterrasse am Oberholzlift – ein Komplex aus drei Betonkuben mit Spitzdach, deren Front Richtung Süden komplett verglast ist. Apropos. Ohne Einkehrschwung geht es nicht. Das Trentino ist für seine Küche berühmt, die man nicht nur in den Restaurants im Tal, sondern auch auf den Skihütten genießen kann. Für die mit Wildschweinfleisch gefüllten Ravioli in Preiselbeersoße auf der Feudo-Hütte am Fuße der Latemargruppe würde man glatt auf die nächste Abfahrt verzichten. Der Lardo aus dem Trentino zergeht auf der Zunge, und das Spezzatino di manzo mit Polenta, eine weniger pikante Version vom Gulasch, ist eine Wucht. Nicht zu vergessen der Trentingrana, ein aromatischer Hartkäse aus Heumilch, der in der Region hergestellt wird. Frisch gerieben über Knödel und Nudeln schmeckt er besonders gut. Die Dichte der Bergrestaurants und die Kochkunst der Wirte machen das Skifahren in den Dolomiten zum Genuss.
Sportlicher Höhepunkt im Val di Fassa ist die in den 1970er-Jahren erschlossene, 26 Kilometer lange Sellaronda. Geübte Skifahrer und Snowboarder schaffen das Karussell um das Sellamassiv in rund vier Stunden. Allerdings empfiehlt es sich, Zeit mitzubringen und einige Panoramastopps auf der Runde einzulegen. Einfach nur, um den Blick auf die beeindruckenden Bergspitzen von Langkofel, Rosengarten, Marmolada oder der Sellagruppe zu genießen. Man kann die Runde im (orangefarbene Beschilderung) oder gegen (grüne Schilder) den Uhrzeigersinn fahren. Die schöneren Abfahrtsmöglichkeiten bietet die Tour in Orange, die Pisten sind etwas anspruchsvoller. Ein weiterer Vorteil liegt im Sonnenverlauf: „Im Uhrzeigersinn fahren Wintersportler nur selten im Schatten“, erklärt Skilehrerin Daniela.
Der schnellste Einstieg in die Sellaronda findet sich im Fassatal von Canazei aus. Die Alternative ist, von Pozza über die Berge nach Penia hinüberzuschwingen. Dort bringt einen dann die Seilbahn zum Belvedere an der Sellaronda. Diese Tagestour kostet aber nicht nur viel Kraft und geht ziemlich in die Oberschenkel, man muss auch gut zwei Stunden mehr Zeit dafür einplanen. Zumal in der Hauptsaison die Wartezeit an der Gondel wieder hinunter nach Penia nicht unterschätzt werden darf – eine Talabfahrt gibt es an dieser Stelle nicht.
Bis Ostern dauert im Val di Fassa die Saison. Die hohe Lage macht’s möglich. Den ganzen Winter über bietet sich bei gutem Wetter ein Naturschauspiel der besonderen Art: die „Enrosadira“. An klaren Tagen lässt die Abendsonne die steil aufragenden grauen Kalksteinformationen der Dolomiten tiefrot aufglühen.