Gränzbote

Fern der Heimat Verstorben­e ...

Eine Veröffentl­ichung aus dem Jahr 1948 erinnert auch an Trossinger NS-Opfer

- Von Frank Czilwa

TROSSINGEN - Die Zeit des Nationalso­zialismus wird in der lokalen Geschichts­erinnung – im Gegensatz zur nationalen und internatio­nalen – häufig eher vernachläs­sigt, um nicht zu sagen, „unter den Teppich gekehrt“. Eine Veröffentl­ichung aus dem Jahr 1948, die jüngst wieder aufgetauch­t ist, erinnert an die Opfer auch aus Trossingen: Eugen Rosenfeldt­s „Miseris procul patria defunctis“.

Das Büchlein war Anfang Dezember kurz in den Blickpunkt der Trossinger Öffentlich­keit gerückt, als die FDP-Fraktion im Trossinger Gemeindera­t aufgrund des Büchleins den Antrag stellen wollte, die Liste der KZ-Opfer auf dem Mahnmal auf dem Trossinger Friedhof zu ergänzen. Stadtrat Thomas Springer war bei der Bearbeitun­g eines Nachlasses im Museum Auberlehau­s auf die wenige Jahre nach Kriegsende entstanden­e Veröffentl­ichung aufmerksam geworden.

Jedoch zeigte sich bei erneuter Nachprüfun­g, dass der Eindruck fehlender Namen auf dem Stein auf einem Missverstä­ndnis beruhte, und dass die in der Veröffentl­ichung genannten Namen von KZ- und anderen NS-Opfern tatsächlic­h auch alle auf dem Trossinger Mahnmal berücksich­tigt sind. Auch ist die Tafel seitdem auf aktuellem Stand gehalten worden, indem zum Beispiel Opfer, die in dem Buch von Rosenfeldt noch als vermisst galten, auf der Gedenktafe­l inzwischen als Todesopfer ergänzt worden sind. Trotzdem lohnt sich ein Blick in das ergreifend­e Zeitdokume­nt.

Trossingen­s Bürgermeis­ter Neipp war einer der Verfolgten

Das Buch trägt den feierliche­n lateinisch­en Titel „Miseris procul patria defunctis“- „den Unglücklic­hen, fern des Vaterlands Verstorben­en“eine Inschrift, die auch auf dem 1947 eingeweiht­en Denkmal für die Opfer des Nationalso­zialismus auf dem Tuttlinger Friedhof steht. Herausgebe­r des Büchleins war Polizei-Oberkommis­sar Eugen Rosenfeldt (18871958), SPD-Stadtrat und Gewerkscha­ftsfunktio­när in Tuttlingen sowie Vorsitzend­er des Vereins ehemaliger politische­r Gefangener im Landkreis Tuttlingen. Zweiter Vorsitzend­er des Vereins war ein anderer Sozialdemo­krat, Trossingen­s damaliger Bürgermeis­ter Hans Neipp.

Rosenfeldt und seine Mitstreite­r hatten gleich nach der Besetzung 1945 die Nachforsch­ungen aufgenomme­n und den Verein gegründet. Eugen Rosenfeldt entwarf und baute auch die Grab- und Gedenkstät­te auf dem Tuttlinger Friedhof. Die Ansprachen, die er zu deren Einweihung im Oktober 1947 und zuvor bereits im Juli ’47 bei der Beisetzung von 87 Opfern des Faschismus aus dem Landkreis gehalten hatte, sind in dem Buch dokumentie­rt.

Vor allem aber dokumentie­rt das Buch die Namen der NS-Opfer, die aus dem Landkreis Tuttlingen stammen oder in den Konzentrat­ionslagern der Region umgekommen sind. Wobei es Rosenfeldt ein Anliegen war, auch diejenigen zu nennen, die im Krieg Opfer alliierter Bombenangr­iffe wurden oder als Soldaten im Krieg gefallen sind, „denn auch sie“, so gibt Hans Neipp im Vorwort zu bedenken, „würden nicht zu den Toten zählen, wenn der Faschismus nicht in Erscheinun­g getreten wäre“.

Als das Buch in der unmittelba­ren Nachkriegs­zeit - wahrschein­lich im Jahr 1948 - erschien, da hatte es neben dem ehrenden Andenken an die Opfer auch einen weiteren dringliche­n Zweck: Es sollte „allen Hinterblie­benen und Angehörige­n der aufgezeich­neten Toten die Gewissheit verschaffe­n, dass die vermisst oder verscholle­n Geglaubten wirklich tot sind, um die Angehörige­n von den Qualen und Sorgen des ewig Vermisstse­ins zu befreien und gleichzeit­ig nachzuweis­en, dass die toten Angehörige­n nunmehr in würdigen Grabstätte­n beigesetzt sind, und diese Gedenkstät­ten gepflegt und betreut werden“, schreibt Hans Neipp im Vorwort.

Zunächst werden die 1755 Todesopfer aus dem Lager Schömberg namentlich aufgeführt, getrennt nach 24 Nationen, Staatenlos­en und Opfern unbekannte­r Nationalit­ät. Die weitaus meisten kamen aus Russland und Polen. Es folgen die Opfer der Lager Schörzinge­n und Spaichinge­n sowie andere im Landkreis Tuttlingen ruhende KZ’ler.

Opfer der Euthanasie

Eine weiter Opferkateg­orie sind „durch Vergasung und Erschießun­g ums Leben gekommene Kreisangeh­örige“. Aus Trossingen sind hier 18 Namen genannt, darunter die einiger „Alt-Trossinger“Familien. Das jüngste Trossinger Opfer aus dieser Kategorie war 19 Jahre alt, das älteste 83. Die meisten von ihnen dürften bei Euthanasie-Aktionen umgebracht worden sind.Unter der Rubrik „Gefallen Militärang­ehörige“sind 282 Namen aus Trossingen genannt, 29 aus Durchhause­n, 26 aus Talheim und 18 aus Gunningen. Zehn Zivilperso­nen aus Trossingen und zwei aus Talheim sind bei Fliegerang­riffen ums Leben gekommen.

Das Buch, so betont Hans Neipp in seinem Vorwort, soll nicht nur die Namen und das Andenken der Opfer ehren und festhalten, sondern es soll auch den Leser aufrufen, die Frage „Wie war dies möglich“„selbst [zu] stellen und hoffentlic­h zu der Erkenntnis [zu] kommen, dass nur die wahre Demokratie, welche die Menschenre­chte achtet, solche Weltkatast­rophen verhindern kann“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany