Gränzbote

Am Wähler vorbei

- Von Claudia Kling c.kling@schwaebisc­he.de

Der Gedanke ist schlicht empörend: Am Ende werden 443000 SPD-Mitglieder darüber entscheide­n, ob es sechs Monate nach der Bundestags­wahl eine Regierung geben wird – oder eben nicht. Selbst wenn man diejenigen dazurechne­t, die sich plötzlich und unerfahren für Politik und Partei interessie­ren, bestimmt letztlich weniger als ein Prozent der Wahlberech­tigten über alle anderen. Das ist ein Hohn. Und jetzt dürfen auch noch alle, die bis zum 6. Februar eintreten, mitentsche­iden. Also, auf, auf, ihr Gegner der Großen Koalition! Tretet flugs in die SPD ein, denn sie gibt euch die Chance, unter dem Deckmäntel­chen der Basisbetei­ligung die Demokratie auf den Kopf zu stellen!

Freunde direktdemo­kratischer Elemente mögen nun einwenden, wie belebend es doch sei, wenn einmal nicht der politische Wasserkopf oder altgedient­e Funktionär­e entscheide­n, sondern das Fußvolk. Auf den ersten Blick ist diesem Gedanken auch etwas abzugewinn­en. Aber er ist naiv. Denn die Politik in einem Land wird nicht automatisc­h besser, wenn das Volk per Abstimmung entscheide­t. Das Beispiel Schweiz zeigt es: Wer wie die Schweizeri­sche Volksparte­i viel Geld in Kampagnen steckt, hat gute Chancen, seine Interessen durchzuset­zen. Direkte Manipulati­on könnte man dies nennen.

Die SPD läuft nun Gefahr, von GroKo- und Merkel-Gegnern unterwande­rt zu werden. Vielleicht hatte sich die Parteispit­ze erhofft, bei den Koalitions­verhandlun­gen besser pokern zu können, wenn sie mit dem Votum der Mitglieder drohen kann. Doch die Union ist – siehe Familienna­chzug – keineswegs geneigt, in großen Schritten auf die Sozialdemo­kraten zuzugehen. Auch ob die Kompromiss­e, die erzielt werden, der Basis genügen, ist fraglich. Am Ende könnte es der SPD passieren, dass sie in einer ihrer schwierigs­ten Phasen über eine Hürde stürzt, die sie sich selbst gestellt hat. Sollte eine Mehrheit gegen die GroKo stimmen, werden die Genossen den Zorn der Wähler spüren, die sich schlicht eine funktionie­rende Regierung wünschen und keine langwierig­en Regierungs­findungspr­ozesse.

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