Am Wähler vorbei
Der Gedanke ist schlicht empörend: Am Ende werden 443000 SPD-Mitglieder darüber entscheiden, ob es sechs Monate nach der Bundestagswahl eine Regierung geben wird – oder eben nicht. Selbst wenn man diejenigen dazurechnet, die sich plötzlich und unerfahren für Politik und Partei interessieren, bestimmt letztlich weniger als ein Prozent der Wahlberechtigten über alle anderen. Das ist ein Hohn. Und jetzt dürfen auch noch alle, die bis zum 6. Februar eintreten, mitentscheiden. Also, auf, auf, ihr Gegner der Großen Koalition! Tretet flugs in die SPD ein, denn sie gibt euch die Chance, unter dem Deckmäntelchen der Basisbeteiligung die Demokratie auf den Kopf zu stellen!
Freunde direktdemokratischer Elemente mögen nun einwenden, wie belebend es doch sei, wenn einmal nicht der politische Wasserkopf oder altgediente Funktionäre entscheiden, sondern das Fußvolk. Auf den ersten Blick ist diesem Gedanken auch etwas abzugewinnen. Aber er ist naiv. Denn die Politik in einem Land wird nicht automatisch besser, wenn das Volk per Abstimmung entscheidet. Das Beispiel Schweiz zeigt es: Wer wie die Schweizerische Volkspartei viel Geld in Kampagnen steckt, hat gute Chancen, seine Interessen durchzusetzen. Direkte Manipulation könnte man dies nennen.
Die SPD läuft nun Gefahr, von GroKo- und Merkel-Gegnern unterwandert zu werden. Vielleicht hatte sich die Parteispitze erhofft, bei den Koalitionsverhandlungen besser pokern zu können, wenn sie mit dem Votum der Mitglieder drohen kann. Doch die Union ist – siehe Familiennachzug – keineswegs geneigt, in großen Schritten auf die Sozialdemokraten zuzugehen. Auch ob die Kompromisse, die erzielt werden, der Basis genügen, ist fraglich. Am Ende könnte es der SPD passieren, dass sie in einer ihrer schwierigsten Phasen über eine Hürde stürzt, die sie sich selbst gestellt hat. Sollte eine Mehrheit gegen die GroKo stimmen, werden die Genossen den Zorn der Wähler spüren, die sich schlicht eine funktionierende Regierung wünschen und keine langwierigen Regierungsfindungsprozesse.