Die miesen Geschäfte der Schlüsseldienst-Mafia
Fällt die Tür zu, kann das teuer werden. Immer wieder nutzen dubiose Anbieter diese Notlage aus und verlangen horrende Summen
Es klingelt – die Nachbarin steht mit hängenden Schultern vor der Tür und fragt: „Kann ich mal telefonieren? Ich habe mich ausgesperrt.“Dumme Sache, Tür einfach zugefallen. So was Blödes. Weil es schon nach 19 Uhr ist, geht beim alteingesessenen Handwerksbetrieb vor Ort niemand mehr an den Apparat. Aber ganz vorn im gewerblichen Telefonbuch, den Gelben Seiten, stehen noch andere Anbieter. Doch obwohl die Nummer ein Ortsgespräch suggeriert, wird es ein langer Abend: Der Monteur kommt erst nach knapp 100 Minuten, obwohl es am Telefon „in ein paar Minuten“geheißen hat.
Die Tür der Nachbarin ist indes in zwei Minuten geöffnet. Umso härter der Schlag, als der Mann vom Schlüsseldienst die Rechnung über fast 400 Euro ausstellt. Ihre zaghaften Versuche eines Protests gehen in der gut geschulten Argumentation des Monteurs unter, der die Worte „Anfahrtspauschale“, „Nachtzuschlag“und „Zulage für Sonderwerkzeug“stoisch wiederholt.
Seit vielen Jahren warnen Polizei und Verbraucherschützer vor Abzocke durch unseriöse Schlüsseldienste. Und doch werden täglich unbedarfte Kunden abkassiert. Regelmäßig melden sich bei der Polizei Opfer. Das meiste Geld wird mit überzogenen Sonn- und Feiertagszuschlägen, der angeblichen Verwendung von Spezialwerkzeugen, überteuertem Material und langen Anfahrten gemacht.
Der Überrumpelungseffekt zieht
Die unseriösen Firmen kommen mit ihrer Masche oft durch. Denn die Menschen werden geradezu überrumpelt und sind einfach nur froh, wieder in ihrem Haus oder ihrer Wohnung zu sein. Häufig unterschreiben die Kunden ein Dokument, das „Inhalt und Preis der Rechnung“anerkennt. So wie die verzweifelte Nachbarin.
Ein bundesweites Netzwerk einer solchen „Schlüsseldienst-Mafia“ist zuletzt aufgeflogen. Die „Deutsche Schlüsseldienst Zentrale“(DSZ) soll ein Firmengeflecht von fast 300 Monteuren aufgebaut haben. Drahtzieher sollen die Geschäftsleute Karl-Leo S., 57, und Christian S., 37, sein. Beide sitzen seit einer bundesweiten Razzia am 3. August 2016 wegen bandenmäßigen Betrugs und Wucher in Nordrhein-Westfalen in U-Haft. Laut Anklage haben sie ein ausgeklügeltes System geschaffen, um über zehn Jahre hinweg Menschen abzuzocken. Die Staatsanwaltschaft hat 1009 Fälle aufgelistet. Im Augenblick läuft der Prozess am Landgericht Kleve.
Sitz der Firma DSZ ist Geldern am Niederrhein und Düsseldorf. Die Opfer kommen aber aus dem gesamten Bundesgebiet. „Von Augsburg, Landshut und München im Süden bis Bremen im Norden, von Görlitz im Osten bis Köln und Düsseldorf im Westen“, berichtet der Sprecher des Landgerichts Kleve, Alexander Lembke. Die fragwürdige Geschäftsidee hinter der DSZ ist ein verzweigtes Gebilde aus lokalen Scheinfirmen. Das Unternehmen warb kräftig in den Gelben Seiten und im Internet. Der Trick: Den Kunden wurde vorgegaukelt, die Schlüsseldienstbetriebe lägen ganz in der Nähe. Das verhieß kurze Anfahrtswege und somit niedrige Kosten.
In Wirklichkeit landeten die Anrufer in einer Telefonzentrale am Niederrhein. Und die schickte per SMS einen Monteur los. Die Anfahrtswege waren oft sehr weit. Einer der Beschuldigten gab bei der Vernehmung an, er habe einen Radius von 170 Kilometern abdecken müssen, berichtet der „Kölner Stadt-Anzeiger“.
Einer der Fälle aus den Ermittlungsakten, die bei der Augsburger Staatsanwaltschaft aufgelaufen sind, verdeutlicht, wie getrickst wurde und wahrscheinlich in vielen Fällen noch heute wird: Georg L. aus Pöcking am Starnberger See schloss sich aus seiner Wohnung aus. Im Büro seiner Frau recherchierte er einen Schlüsseldienst, der mit einer Anschrift in Pöcking warb. Am Telefon wurde versprochen, man könne in einer halben Stunde da sein. Tatsächlich musste L. anderthalb Stunden warten. Es stellte sich heraus, dass der Firmensitz im rund 90 Kilometer entfernten Augsburg liegt. Dementsprechend wurde eine Fahrtkostenpauschale von 150 Euro kassiert, die Gesamtrechnung für zwei Minuten Arbeit stieg auf mehr als 200 Euro. L. erstattete Anzeige. Dabei ist er noch relativ günstig davongekommen.
Nach den jahrelangen und aufwendigen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in Kleve verlangten die Monteure der DSZ teils bis zu 1500 Euro für Noteinsätze. Im Durchschnitt sollen die Preise der mutmaßlichen Betrüger 200 bis 600 Euro höher als die ortsüblichen Kosten gewesen sein. Die Angeklagten sollen auf diese Weise zwischen 2007 und 2016 fast 77 Millionen Euro umgesetzt und mindestens eine halbe Million Euro erbeutet haben. Laut Staatsanwaltschaft liegt der Gesamtschaden inklusive hinterzogener Steuern und Sozialversicherungsbeiträge – die Monteure sollen scheinselbstständig gewesen sein – bei 15 Millionen Euro. Die Anwälte der Angeklagten bestreiten eine Schuld ihrer Mandanten.
Der mutmaßliche Haupttäter Karl-Leo S. ist eine schillernde Figur. Mit seinen Geschäftemachereien – er ist auch in der Immobilienbranche tätig – hat er offenbar gutes Geld verdient. An der Algarve in Portugal soll er ein prächtiges Anwesen besitzen. Auf seinen verschiedenen FacebookProfilen sind immer wieder Porsches zu sehen. Kurz vor seiner Verhaftung hatte er Ärger mit den Behörden im Kreis Kleve. Auf dem weitläufigen Grundstück bei seinem Elternhaus hatte er eine Teichlandschaft angelegt. Die Form der Tümpel war aber nicht gerade naturnah. Vielmehr hatte er die Gewässer in Form von Buchstaben und Zahlen ausbaggern lassen. Aus der Luft betrachtet ergibt das den Schriftzug „K-L 210“, wobei K-L natürlich für Karl-Leo steht und 210 für die Hausnummer des erweiterten Anwesens. Doch die Behörden hielten die Anlage nicht für ein Biotop, sondern für eine nicht genehmigte Umweltsünde.
KarlLeo S. machte aber nicht nur mit solchen Extravaganzen Schlagzeilen. Im Jahr 2004 war er wegen ähnlicher Verbrechen, wie sie jetzt von der Justiz überprüft werden, schon einmal zu vier Jahren Gefängnis verurteilt worden. Kurz nach der Freilassung muss er sein betrügerisches System aber rasch wieder aufgebaut haben. Die unzähligen Schlüsseldienste, die sich hinter der „Deutschen Schlüsseldienst Zentrale“, der „Kripo-Beratungsstelle“oder dem „Einbruchschutz“und anderen Fantasienamen verbergen, haben alle Branchenbücher mit ihren Anzeigen überflutet.
Häufig bedienen sie sich eines billigen Tricks, um dort ganz oben zu stehen. Sie verwenden einen Firmennamen, in dem möglichst häufig der Anfangsbuchstabe „A“vorkommt. Einer der beiden Angeklagten nannte seinen Schlüsseldienst zum Beispiel „A.A.A. Absicherungen aller Art“. Damit war ihm ein Eintrag an erster Stelle in den Gelben Seiten sicher.
Seriös arbeitende Schlüsseldienste sind stinksauer über diese Masche, die häufig vorkommt: „Das ist eine richtige Sauerei“, sagt Armin Ritter, Betriebsleiter der Augsburger Traditionsfirma Schlüssel Fritz. Die Kriminellen schaden seiner Ansicht nach der ganzen Branche. „Denn leider scheren viele alle Betriebe über einen Kamm“, so Ritter. Häufig hat er erlebt, dass Geprellte mit einer völlig überteuerten Rechnung eines unseriösen Anbieters zu ihm kommen und um Rat fragen. Doch dann haben sie bereits bezahlt und es ist meist zu spät, noch etwas zu unternehmen.
Armin Ritter rät, sich nur an Unternehmen zu wenden, die tatsächlich vor Ort einen Betrieb haben. Schlüssel Fritz gibt es in Augsburg seit 110 Jahren, mit 27 Mitarbeitern und eigener Werkstatt ist es einer der größten Schlüsseldienste in Deutschland. Eine Türöffnung an einem Wochentag überschreitet laut dem Betriebsleiter bei Schlüssel Fritz im Normalfall nicht die 100-Euro-Marke. Eine Preisliste soll es schon bald auf der Firmen-Homepage geben.
Diese Form der Preis-Transparenz ist es, die vielen Unternehmen in der Schlüsseldienst-Branche fehlt. Es gibt auch keine strengen Vorgaben oder eine Kontrollinstanz. Und selbst Geprellte, die Anzeige erstatten, haben nur selten Erfolg. Sogar Gerichte akzeptieren mitunter Summen von mehreren Hundert Euro als angemessen. Und manchmal lässt sich selbst die Justiz von der SchlüsseldienstMafia reinlegen, wie ein Fall aus Augsburg zeigt.
Das dortige Amtsgericht hat 2013 einen Monteur vom Vorwurf des Wuchers freigesprochen. 376,26 Euro hatte der Mann für eine recht einfache Türöffnung an einem Samstag verlangt. Die Staatsanwaltschaft hielt dies für eine Straftat. Doch der Rechtsanwalt des Schlüsseldienstes brachte einen vereidigten Sachverständigen des „Verbands Deutscher Schlüsseldienste“mit. Und der Experte führte aus, dass der hohe Preis in Ordnung gehe. Prompt sprach der Richter den Monteur frei. Der Preis erscheine einem Laien zwar sehr hoch, aufgrund der Aussage des Sachverständigen könne man aber nicht von einem „krassen Missverhältnis“sprechen, wie es das Gesetz im Fall von Wucher fordere. Es gebe eben keine gesetzliche Preisbindung für Schlüsseldienste, so der Richter.
Im Lichte der neuen Ermittlungen ist dieses Urteil aber ein Problem. Nach Recherchen der „Augsburger Allgemeinen“ist der „Verband Deutscher Schlüsseldienste“nicht etwa ein seriöser Berufsverband. Vielmehr stecken ebenfalls die dubiosen Geschäftsmänner vom Niederrhein dahinter. Karl-Leo S. ist nach Recherchen der „Augsbruger Allgemeinen“der Gründer des Verbandes, wenngleich heute im Internet andere Namen stehen und eine Adresse in London angegeben ist. Der „Experte“dürfte also bei der Justiz in Augsburg die betrügerischen Geschäfte eigener oder verbandelter Unternehmen gerechtfertigt haben. Und das Gericht ist darauf reingefallen.