Traumfabrik am Bosporus
Die „Entführung aus dem Serail“und weitere Eindrücke von der Salzburger Mozartwoche
SALZBURG - Musikalisch glanz- und fantasievoll eröffnete der Dirigent René Jacobs gemeinsam mit einem exzellenten jungen Sängerensemble und der Akademie für Alte Musik Berlin mit der „Entführung aus dem Serail“die diesjährige Salzburger Mozartwoche im „Haus für Mozart“. Im großen Saal des Mozarteums begeisterten András Schiff, die von ihm geförderte Pianistin Schaghajegh Nosrati und die Capella Andrea Barca mit einem wunderbar abgerundeten Programm. Und im Mozartwohnhaus am Makartplatz erlebte man mit dem warmen Klang der Instrumente, auf denen der Komponist selbst musiziert hat, und vier leidenschaftlich agierenden Musikern ein feines „Pasticcio“mit Melodien aus der „Entführung“und einem Streichquartett von Haydn. Eindrücke vom Eröffnungswochenende rund um den Geburtstag des Salzburger Meisters.
Regisseurin Andrea Moses, die über Jahre eng mit der Staatsoper Stuttgart verbunden war, erzählt eine „Entführung“garantiert ohne politische Aktualisierungen. Doch die mildtätige Vergebung, die Bassa Selim walten lässt, wirkt verkrampft. Moses konstruiert eine Vorgeschichte um Rivalität und Eifersucht zwischen dem jungen Bassa, einem wohlhabenden Spanier, und dem Vater des Belmonte, jene Geschichte, die im Finale des dritten Aktes angedeutet wird. Die Regisseurin lässt die Figuren in der heutigen Zeit agieren (was auch zu einer mit derben Kraftausdrücken durchsetzten Neufassung der Dialoge geführt hat): Bassa Selim hat Spanien verlassen, um in der Türkei als Chef von Selim Motion Pictures nette Werbefilmchen für Turkish Airlines zu drehen, der Chor der Janitscharen verwandelt sich in adrette Stewardessen und Flugbegleiter, den Schlaftrunk für Osmin mixt Pedrillo aus dem Getränkewagen der Fluggesellschaft, nicht ohne sich selbst kräftig daraus zu bedienen. Kein Wunder, dass die nächtliche „Entführung“der beiden Mädchen gründlich schiefgeht!
Orchester als Gegengewicht
Das „Serail“in dieser Traumfabrik am Bosporus gleicht einem fliegenden Teppich mit prächtigen farbenfrohen Kissen und einer Bibliothek, ist hinter goldenen Glitzerfäden verborgen und nur über steile Treppen zu erklimmen. Andrea Moses und ihr Bühnenbildner Jan Pappelbaum spielen mit den orientalischen Elementen, stehen sich aber mit den Filmrequisiten, Kameras und wuselnden Assistenten auch ständig selbst im Weg. Peter Lohmeyer stolziert dazu als Bassa Selim, Regisseur und Hauptfigur seiner Filme durch die Szene, das Werben um Konstanze, der Konflikt mit Belmonte, der in großmütiges Verzeihen münden soll, gipfelt in stark aufgetragener Selbstbespiegelung.
Sind die Schwerpunkte zum Teil auf die Sprechrolle des Bassa Selim verschoben, so bringen die wunderbaren Sänger und das so farbig aufspielende Orchester das musikalische Gegengewicht. In die Akademie für Alte Musik Berlin mischt René Jacobs noch weitere orientalische Instrumente, die Atmosphäre erzeugen. Andreas Küppers untermalt die Dialoge mit fantasievollem Hammerklavierspiel, lässt auch andere Mozartstücke einfließen, zum Schlussmonolog des Bassa Selim lässt sich Peter Lohmeyer von der „Maurerischen Trauermusik“tragen. Diese musikalischen Zusätze wirken in jedem Fall stimmiger als die der Regie.
Dazu hat Jacobs ein junges Sängerensemble zusammengestellt, das rundum überzeugt: Robin Johannsen gibt die Konstanze mit schlanker Stimmgebung und reicher Ausdrucksvielfalt ihrer leuchtenden Stimme, Sebastian Kohlhepp meistert die schwierigen Koloraturen und die lyrische Sehnsucht in seiner Partie mit gut fokussiertem Tenor, Wärme und Strahlkraft. Musikalisch ebenbürtig und funkelnd ist das Blondchen der Nikola Hillebrand, die noch dazu mit einer blendenden Schauspielkunst gesegnet ist. Julian Prégardien verkörpert den pfiffigen Pedrillo mit Spiellust und geschmeidig beweglicher Stimme, David Steffens ist ein sehr wendiger junger Osmin, der sich auch in den tiefsten Regionen seiner Partie wohlfühlt.
András Schiff setzt Maßstäbe
Wurde diese „Entführung“vom Publikum recht zwiespältig aufgenommen, so war die Begeisterung für András Schiff, seine Capella Andrea Barca und die iranische, in Deutschland geborene Pianistin Schaghajegh Nosrati einhellig. Ganz der Tonart cMoll in Werken von Johann Sebastian Bach und natürlich Mozart gewidmet, getragen von aufsteigenden Dreiklangmotiven und ihren Varianten, setzt dieses Programm Maßstäbe in Sachen musikalisch-thematischer Einheit und Vielfalt.
Der runde, pulsierende Klavierklang, die feinen Dialoge der Solisten, dazu die handverlesenen Musikerinnen und Musiker, die das Orchester zu einem großen Kammermusikensemble formen, machten diese Matinee im schönen Saal des Mozarteums zu einem Gesamtkunstwerk. Doppelkonzerte für zwei Klaviere und Streicher von Bach, dazu die herrliche Bläserserenade KV 388, zwei Sätze aus dem „Musikalischen Opfer“von Bach und zuletzt das ebenso dunkel dramatische wie virtuose Klavierkonzert KV 491 zeigten vielfach Querverbindungen auf. Dieses Programm ist am 3. Februar auch im Festspielhaus Baden-Baden zu hören.