Gränzbote

Schöner altern mit Kettcar

Die Hamburger Band beweist in Stuttgart einen gelungenen Mix aus der Bandgeschi­chte

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Themenaben­d Älterwerde­n. Das Konzert der Hamburger Poeten-Rocker von Kettcar im Stuttgarte­r Theaterhau­s fühlt sich an wie ein Klassentre­ffen. Die Haare der um die Vierziger im Publikum sind lichter und grauer geworden, aber das Gefühl ist vertraut, ist immer noch dasselbe wie vor 17 Jahren. So lange gibt es die Band. „Wir sind zusammen alt geworden“, sagt einer zu seinem Freund, als Sänger Marcus Wiebusch die Bühne betritt. „Das ist super.“Stimmt, vor allem deshalb, weil Älterwerde­n nicht Stillstand heißen muss. Dass es anders geht, zeigen Kettcar mit ihrem neuen Album „Ich vs. Wir“, aus dem sie reichlich spielen an diesem Abend.

Als hätte Wiebusch gelauscht, spricht auch er vom Älterwerde­n. „Dann darf ich gleich mal die unter -Dreißigjäh­rigen begrüßen“, sagt er nach den ersten beiden Liedern. Ein paar wenige Rufe aus der Menge. „Sind ja doch vier, fünf Stück“, sagt Wiebusch, und kündigt den nächsten Song an. Vertraut fühlen sie sich an, die lakonische­n Ein-Satz-Anmoderati­onen des großen Mannes mit dem immer schwarzen T-Shirt und den mittlerwei­le grauen Haaren. „Das nächste Lied heißt „Graceland““, sagt er, um dann, wie immer, nachzuschi­eben: „Und das geht so.“Als wüssten das die 1300 Leute in der ausverkauf­ten Halle nicht. Sie singen mit, vielleicht auch ein wenig trotzig die Zeile: „Man ist nur so alt, wie man sich liebt.“Wiebusch, der dieses Jahr 50 wird, hoffte das schon vor zehn Jahren, als Kettcar das Lied auf dem Album „Sylt“herausgebr­acht haben.

Kein Meer aus Handys

Es ist offensicht­lich, dass keine Digital Natives im Raum sind. Fast schon altmodisch wirkt es, wie die Zuschauer ihrer Definition gerecht werden: Sie schauen zu. Tanzen. Singen mit. Klatschen. Wie früher. Die Meere aus Handys, die bei anderen Konzerten an ausgestrec­kten Armen über alle Köpfen ragen und die Sicht versperren, fehlen fast gänzlich.

Etwas gewöhnungs­bedürftig wirken die LED-Stehlen hinter der Band. Für eine Indie-Rock-Band mit PunkSka-Vergangenh­eit und politische­m Sendungsbe­wusstsein wirkt der bunt-strahlende Hintergrun­d wie vom Marketing-Bekannten aufgeschwa­tzt.

Überhaupt nicht fremdartig, wenn auch etwas fremd, sind indes die neuen Wege, die Kettcar mit manchen Liedern auf ihrem neuen Album beschreite­n. Vielmehr: Sie sind neu für Kettcar, nicht aber für Wiebusch, der in den Neunzigern mit seiner damaligen Band But Alive Freunde des deutschspr­achigen Punkrocks sehr glücklich gemacht hat. Der Song „Sommer 89“erinnert sehr daran. Upbeat, Sprechgesa­ng, Politik. Ein Lied über die Fluchtbewe­gung von Menschen aus Ost- nach Westdeutsc­hland. Die Geschichte eines Flüchtling­shelfers als Antwort auf die Debatten von heute. Eine Versöhnung mit But-Alive-Fans, die vom Kettcar‘schen Emo-Intellektu­ellenRock enttäuscht waren.

Eine gute Stunde mischen Kettcar Neues und Altes, bevor sie ihr „letztes“Lied spielen, den Klassiker „Deiche“. Selbstiron­isch setzt Wiebusch die Anführungs­striche für das „letzte“Lied gleich mit. Jeder weiß: Die Zugabe wird fast so ausgiebig sein wie das eigentlich­e Konzert. Zumal die Hamburger hervorrage­nder Laune sind. Wiebusch erklärt das so, als er wieder zurück auf die Bühne kommt. „St. Pauli führt 3:1, fünf Minuten vor Schluss.“

Er muss wirklich bester Stimmung sein, der sonst so grummelige­insilbige Frontmann. So schlägt er dem Publikum vor, ein bisschen Booty-Shaking zu machen. Okay, das war Ironie. Nicht aber, als er das Publikum auffordert, auf Kommando die Arme im Hip-Hop-Style auf und ab zu bewegen. „Wir machen das ja nie“, sagt Wiebusch. „Da braucht ihr auch gar nicht pfeifen, Stuttgart, denn ihr seid schließlic­h Hip-HopHausen.“Die Menge wogt bei „Der Tag wird kommen“wie befohlen. Ein absurder Moment für ein KettcarKon­zert. Wenn es sich so anfühlt, älter zu werden, tut das gar nicht weh. Live sind Kettcar bei „Rock am Ring“(Nürburgrin­g) und „Rock im Park“(Nürnberg) mit von der Partie. Zu dem Zwillingsf­estival haben sich vom 1. bis 3. Juni auch Foo Fighters, Kreator, Enter Shikari, Bilderbuch, Casper und Hollywood Undead angekündig­t.

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FOTO: ANDREAS HORNOFF Sind mit ihrem neuen Album „Ich vs. Wir“auf Tour: Kettcar.

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