Gränzbote

Sich regen bringt Segen

Sportlich aktive Menschen haben weniger Probleme mit den Iliosakral­gelenken

- Von Corinna Kuhs, dpa

AACHEN/KARLSRUHE (dpa) - Bei Rückenprob­lemen denken die meisten Menschen an einen Hexenschus­s oder herausgeru­tschte Bandscheib­en. Dahinter kann aber ein Übeltäter stecken, den kaum einer auf dem Zettel hat: das Iliosakral­gelenk – kurz ISG.

Es sitzt auf beiden Seiten ganz unten im Rücken und verursacht mitunter Schmerzen, die der Betroffene kaum zuordnen kann. „Zwar äußern sich Probleme mit dem Iliosakral­gelenk meistens als einseitige Schmerzen im unteren Rückenbere­ich, doch sie können auch in Richtung Oberschenk­el, Po, in die Leistengeg­end, den Bauch oder sogar bis zum Fuß ausstrahle­n“, sagt der Physiother­apeut Michael Tiemann aus Aachen.

Die beiden handteller­großen Gelenke verbinden die Wirbelsäul­e auf Höhe des Kreuzbeins mit den Beckenscha­ufeln. Seinen sperrigen Namen verdankt das Iliosakral­gelenk der Lage zwischen dem Kreuzbein (Sakrum) und rechten und linken Darmbein (Ilium). Allerdings kann der Begriff Gelenk etwas in die Irre führen, sagt Christoph Eichhorn, Vorstandsv­orsitzende­r des Deutschen Orthopäden- und Unfallchir­urgenverba­nds (DOUV): „Es ist kein Kugelgelen­k, wie es das beispielsw­eise an Hüft- oder Schulterkn­ochen gibt, sondern ein flaches Gelenk, dessen Bewegungss­pielraum nur wenige Grad beträgt.“

Stoßdämpfe­r in der Rumpfmitte

Das ISG dient als Stoßdämpfe­r in der Mitte des Rumpfes. Geht jemand zum Beispiel joggen, entsteht beim Auftreten eine Belastung, die über die Beine an den Beckenring weitergele­itet, dort abgefangen und anschließe­nd an den Rumpf und die Wirbelsäul­e weitergege­ben wird. Muskeln und Bandstrukt­uren halten und stabilisie­ren das ISG, damit es diese stoßdämpfe­nde Funktion übernehmen kann.

Werden die stabilisie­renden Strukturen weicher – zum Beispiel durch die Hormonumst­ellung in einer Schwangers­chaft – oder kommt es bei einem Sportunfal­l zu kleinsten Verletzung­en, kann das Beschwerde­n verursache­n. Auch wenn ein Bein länger ist als das andere, setzt das dem Iliosakral­gelenk zu. „Oft klagen Patienten über Schmerzen, wenn sie lange stehen müssen oder nach dem Liegen oder Sitzen aufstehen“, sagt Tiemann.

„Es gibt zudem bestimmte Erkrankung­en, die speziell dieses Gelenk betreffen“, ergänzt Johannes Flechtenma­cher, Präsident des Berufsverb­andes für Orthopädie und Unfallchir­urgie (BVOU). Dazu gehören Morbus Bechterew und Sakroiliit­is. „Bei diesen beiden Erkrankung­en kommt es zu einer Entzündung und letztlich dann zu einer kompletten Versteifun­g des Gelenks.“

Schwierigk­eiten mit dem Iliosakral­gelenk kann prinzipiel­l jeder bekommen. „Aber Menschen, die recht wenig Sport machen, sind meiner Erfahrung nach häufiger betroffen“, sagt Flechtenma­cher. Auch Menschen, die ein starkes Hohlkreuz haben, wodurch die Gelenke im unteren Rücken stark belastet sind, erwischt es eher als andere.

Wer über mehrere Wochen Rückenschm­erzen hat, sollte die Ursache unbedingt von einem Facharzt abklären lassen. Stellt sich heraus, dass tatsächlic­h das Iliosakral­gelenk die Schmerzen verursacht, rät Flechtenma­cher zu Bewegung.

„Wichtig ist vor allem, die Bauchmusku­latur zu stärken, um den Rücken zu entlasten.“Das gilt nicht nur, wenn Menschen bereits Schmerzen haben: „Jeder Orthopäde empfiehlt, die Bauchmusku­latur zu trainieren.“Bei Ausdauersp­ortlern geht das zum Beispiel ganz einfach, indem sie nach dem Lauftraini­ng noch einige Sit-ups machen.

Blockade lösen

Auch der Orthopäde und Unfallchir­urg Gerd Gruber aus Heidelberg betont: „Sich zu schonen oder Bewegung zu vermeiden, wäre in den meisten Fällen vom Grundgedan­ken falsch.“Die Bewegung sollte sich an den Ursachen der Beschwerde­n orientiere­n. Ist das ohnehin schon straffe ISG in seiner Bewegung noch weiter eingeschrä­nkt, – Ärzte nennen das Blockade – kann der Arzt zunächst versuchen, es zu lösen. Danach führt der Patient täglich 15 Minuten lang in Eigenregie Übungen durch, die die Rumpfmusku­latur stärken.

Neben Muskeltrai­ning könnten zur Behandlung auch Elektrothe­rapie, Massagen oder Wärmethera­pie gehören, um Schmerzen zu lindern, ergänzt Physiother­apeut Tiemann.

Operiert wird am ISG laut Flechtenma­cher nur in absoluten Ausnahmefä­llen, etwa nach einem komplizier­ten Beckenbruc­h. „Stattdesse­n hilft es meist, das Gelenk chirothera­peutisch gut behandeln zu lassen und zu mobilisier­en.“Nach Meinung des Experten, bringt das oft sehr gute Ergebnisse.

Wer aber schon von vornherein verhindern will, dass das Gelenk blockiert, sollte sich niemals mit vornüber gebeugtem Oberkörper bücken oder gar schwere Dinge in dieser Haltung anheben.

„Wichtig ist vor allem, die Bauchmusku­latur zu stärken, um den Rücken zu entlasten.“Johannes Flechtenma­cher, Präsident des Berufsverb­andes für Orthopädie und Unfallchir­urgie (BVOU)

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FOTO: COLOURBOX Bewegen ist wichtig. Nach dem Joggen sollte man allerdings noch einige Sit-ups machen, um auch die Bauchmusku­latur zu trainieren.

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