Im Promillebereich
Kleine Wirtschaftsgeschichte des Weins
Die kleine Wein-Geschichte, die Daniel Deckers so locker da herplaudert, unterscheidet sich merklich von den repräsentativ aufgemachten Bänden, die es zum Thema Wein gibt. Das Taschenbuch profitiert von der Vorarbeit, die Deckers 2010 geleistet hat: von seiner Geschichte des deutschen Weinbaus.
Die hat er nun über das Mittelalter in die Antike zurückverlängert, was zu einem wiederholten Lob der Mosel führt, dem ältesten und lange Zeit auch prominentesten deutschen Anbaugebiet. Dessen Ausmaß können die Archäologen heute dank der Funde von Keltern bestimmen. Trotzdem: Die interessanten Partien dieses Buches sind Deckers Erkundungen des Weinhandels seit dem 19. Jahrhundert. Hier entfaltet sich ein Horizont, der sonst unterschlagen bleibt. Wer will schon, wenn er gerade den Wein unter die Zunge bringt oder dem Abgang nachspürt, auf den Holocaust hingeführt werden.
Die Rolle jüdischer Händler
Deckers tut das. Denn die Rolle jüdischer Weinhändler ist mit dem internationalen Renommee des deutschen Weißweins fest verbunden – und mit den Preisen, die er weltweit erzielte. Die Nationalsozialisten, die anfangs von guten Weinjahren profitierten, ließen zunächst die großen Händler noch gewähren, weil deren Kontakte nach England und in die USA ihnen Devisen einbrachten, ähnlich dem Kunsthandel. Auf dem Binnenmarkt dagegen griff die Verdrängung früh und systematisch, über das Konzept des „Patenweins“. Städte in Deutschland bezogen ihren Wein direkt aus den Weindörfern im Süden und Westen des Landes.
Daniel Deckers, der an der Weinbauschule Geisenheim Geschichte des Weinbaus lehrt, ist im Hauptberuf Kirchenredakteur der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Dieser gleichermaßen unüblichen wie plausiblen Querverbindung verdanken einige Kapitel ihren Zungenschlag, etwa zu den Trinksitten des Jubilars Martin Luther. Nicht nur dessen Lehre und Latein, auch sein Wein dürfte seinen Widersachern übel aufgestoßen sein. Daniel Deckers: Wein, 128 Seiten, 9,95 Euro.