Betrüger geben sich als Polizisten aus
Falsche Polizisten bringen Rentner in ganz Deutschland um ihre Ersparnisse
TETTNANG (sz) - Die Polizei spricht von einem Phänomen, das sich in ganz Deutschland ausgebreitet hat: Betrüger geben sich am Telefon als Polizisten aus und bringen vertrauensselige Rentner um ihre Ersparnisse. Ein aktuelles Gerichtsverfahren in Tettnang gibt Einblick in das System. Die Zahl der Betrugsversuche mit dem Polizistentrick hat sich seit 2016 verachtfacht. Einer Erhebung des Bundeskriminalamtes (BKA) zufolge seien in den Jahren von 2008 bis 2016 mehr als eine Million Menschen Opfer eines Betrugs durch Anrufer aus der Türkei geworden. Die Schadenssumme beläuft sich laut BKA auf mehr als 132 Millionen Euro.
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TETTNANG - Sie sitzen in Callcentern in der Türkei, rufen vornehmlich ältere Menschen in Deutschland an, geben sich als Polizisten aus und warnen vor Betrügern. Tatsächlich sind sie selbst die Betrüger, die es auf die Ersparnisse ihrer Opfer abgesehen haben. Mit ihrer Masche sind sie sehr erfolgreich. Die Polizei spricht von einem Phänomen, das sich in den vergangenen Jahren in ganz Deutschland immer weiter ausgebreitet hat. Ein aktuelles Gerichtsverfahren in Tettnang gibt Einblicke in das System.
Es ist früher Abend, als an einem Sonntag im Juni 2017 bei einer 94jährigen Frau in Friedrichshafen das Telefon klingelt. Es meldet sich ein angeblicher Hauptkommissar Neumann und behauptet: Die Polizei habe eine Einbrecherbande geschnappt und bei dieser Bande die Bankdaten der Rentnerin aus Friedrichshafen gefunden. Weil angeblich Kundenberater der Bank mit dieser Bande gemeinsame Sache machen, sei es für die Frau wichtig, mit den Ermittlern zu kooperieren, sagt der angebliche Kommissar. Um ihr Geld zu sichern, solle sie zunächst 25 000 Euro von der Bank holen und ein paar Tage später gegen Mitternacht in einen Briefumschlag vor die Haustüre legen, damit Polizisten es dort abholen können.
Die Frau befolgt die Anweisungen, obwohl sie eineinhalb Jahre zuvor beinahe Opfer des sogenannten Enkeltricks geworden war. Ihre Bankberaterin war damals stutzig geworden, hatte nach verdächtigen Telefonanrufen gefragt und damit das Schlimmste verhindert. Auch diesmal ist die Mitarbeiterin der Bank misstrauisch, doch ihre betagte Kundin verneint die Frage nach seltsamen Anrufen. Der angebliche Hauptkommissar „wirkte sehr überzeugend und glaubwürdig“, wird die Rentnerin einige Wochen später bei der echten Polizei aussagen.
Vertrauen aufgebaut
An den folgenden Tagen meldet sich Hauptkommissar Neumann immer wieder, spricht dabei nicht nur über die Ermittlungen, sondern plaudert mit der Rentnerin auch über seine Frau und seine beiden Kinder, will das aufgebaute Vertrauen damit weiter festigen. Als die Frau es dennoch zunächst ablehnt, weitere 100 000 Euro von der Bank zu holen, ändert der bislang so freundliche Kommissar seinen Tonfall allerdings. Er droht der 94-Jährigen mit der Staatsanwaltschaft, sollte sie nicht weiter kooperieren. Um diesmal keinen Verdacht in der Bank zu erwecken, soll die Frau dort ein Schließfach eröffnen und so tun, als würde sie darin 100 000 Euro von ihrem Konto deponieren wollen. Tatsächlich nimmt sie das Geld mit nach Hause, steckt es erneut in einen Umschlag und legt es zur Abholung bereit. Der Versuch, die Frau einige Tage später um weitere 100 000 Euro zu erleichtern, geht schließlich daneben. Mittlerweile ist die echte Kriminalpolizei involviert und nimmt zwei Männer bei der Geldabholung fest. Beide sind mittlerweile zu Bewährungsstrafen verurteilt worden.
„Das Perfide an dieser Masche ist, dass das Vertrauen der Menschen in die Polizei schamlos missbraucht wird“, sagt Ulrich Heffner, Pressesprecher des Landeskriminalamtes. Erste vereinzelte Fälle dieser Betrugsmasche hat die Polizei in Baden-Württemberg 2015 registriert, richtig weit verbreitet hat sie sich im vergangenen Jahr. Konkrete Zahlen werden im März bekannt gegeben. Im Vergleich zum Vorjahr sind diese laut Heffner drastisch angestiegen. Die Zahl der Betrugsversuche mit dem Polizistentrick hat sich landesweit seit 2016 mehr als verachtfacht, der Schaden durch die erfolgreichen Versuche ungefähr verdreifacht. 225 Versuche waren es 2016, davon 43 erfolgreich – mit einer Schadenssumme von 1,4 Millionen Euro.
Aktuelle Zahlen für ganz Deutschland gibt es nicht, einer Erhebung des Bundeskriminalamts zufolge sind im Zeitraum von 2008 bis 2016 aber mehr als eine Million Menschen Opfer eines Betrugs durch Anrufer aus der Türkei geworden. Die Gesamtschadenssumme beläuft sich laut BKA auf mehr als 132 Millionen Euro – wobei sich diese Summe auf jene Fälle beschränkt, die bei der Polizei angezeigt worden sind. Das BKA geht von einem „erheblichen Dunkelfeld“aus. Die Betrugsmethoden variieren und werden immer wieder gewechselt.
Ein Beamter der Kriminalpolizei Friedrichshafen berichtete im laufenden Gerichtsverfahren zum eingangs beschriebenen Fall, dass speziell der Polizistentrick sich in den vergangenen Jahren von Nord- nach Süddeutschland immer weiter ausgebreitet habe. Aus Norddeutschland kamen auch die beiden Männer, die im Friedrichshafener Fall das Geld abholen sollten. Und auch jener Mann, der sie dazu beauftragt haben soll und sich deshalb vor dem Schöffengericht am Amtsgericht Tettnang verantworten muss. Die Ermittler der Kripo gehen davon aus, dass die Shisha Bar, die der 28-Jährige in Bremen betreibt, Dreh- und Angelpunkt der Betrügereien ist – und er selber sozusagen der Cheflogistiker der Betrügerbande. Die eigentlichen Hintermänner sitzen in der Türkei. Von dort aus werden die Opfer angerufen. Die Daten für die Geldabholungen werden an besagten Logistiker weitergegeben, der wiederum Handlanger anwirbt und zu den entsprechenden Adressen in ganz Deutschland schickt. Die bringen das Geld zum Logistiker, der es in die Türkei weiterleitet.
Schwierige Beweislage
Geldabholer hat die Polizei mittlerweile in ganz Deutschland geschnappt. Die sind in der Regel aber sehr schweigsam und behalten die Namen ihrer Auftraggeber für sich. Für die Ermittler ergeben sich zwar in vielen Fällen Hinweise, die zu besagter Shisha Bar nach Bremen führen. Um den mutmaßlichen Logistiker anzuklagen, reichen diese aber meist nicht aus.
Im Friedrichshafener Fall war das anders, weil hier einer der Geldabholer tatsächlich einen Namen genannt hat. Ob es der richtige war, muss nun das Schöffengericht in Tettnang bewerten. Die Beweislage ist ausgesprochen schwierig. Fortsetzung ist am 28. Februar.