Merkel warnt Europäer
Vorschlag: EU-Gelder an Flüchtlingsaufnahme koppeln
BERLIN (sal) - Vor dem EU-Gipfel in Brüssel hat Kanzlerin Angela Merkel erneut gewarnt, dass Solidarität in Europa keine Einbahnstraße sein könne. Gelder aus den EU-Hilfsfonds könnten an die Bereitschaft zur Flüchtlingsaufnahme gekoppelt werden. Am Freitag beraten die Staats- und Regierungschefs über die Finanzen nach dem Austritt von Großbritannien. Merkels Regierungserklärung traf im Bundestag auf Kritik. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt warf der Kanzlerin eine Politik „ohne Ideen und Leidenschaft“vor.
Eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der „FAZ“hat ergeben, dass 49 Prozent der Deutschen Fortschritte bei der europäischen Einigung begrüßen. Die Zustimmung für ein Zusammenwachsen der EU steige. Die Umfrage wurde bereits in den Jahren 2008, 2010 und 2014 immer mit den gleichen Fragen vorgenommen.
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BERLIN - Es geht ums Geld, um Zusammenhalt und Macht und um die Politik der nächsten Jahre in der Europäischen Union. Vor dem Gipfel in Brüssel an diesem Freitag schwört Angela Merkel das Parlament noch einmal ein. Hat es je einen Koalitionsvertrag gegeben, der so viel Aufbruch für Europa signalisierte? „Prominenter stand Europa bisher in keinem Koalitionsvertrag“, sagt Merkel. Denn Deutschland gehe es nur gut, wenn es auch Europa gut gehe. Das ist ihr Mantra, und in ihrer Regierungserklärung zur Europapolitik mahnt die Kanzlerin deshalb auch, dass andere Länder aufholen. „Die Welt wartet nicht auf uns, weder auf uns in Deutschland noch in Europa.“Man müsse die Menschen mit konkreten Antworten überzeugen. Doch allzu konkret wird sie an diesem Morgen nicht.
Kampf gegen Fluchtursachen
Die Flüchtlingsfrage entzweit Europa wie wenig andere Fragen, und Merkel empfiehlt, man müsse konsequent im Kampf gegen Fluchtursachen ansetzen. Sie halte am gemeinsamen europäischen Asylsystem fest, das krisenfest und solidarisch sein müsse. Doch die Osteuropäer verweigern eine Beteiligung an Flüchtlingskontingenten, die anderen Länder denken schon laut über Mittelkürzungen nach. Solidarität sei keine Einbahnstraße, lautet Merkels – für ihre Verhältnisse klare – Warnung.
Genutzt hat sie noch nicht viel. „Das ist das bei Weitem unbefriedigendste Kapitel“, so Merkel. Doch mit Zähigkeit und Geduld werde es gelingen, zu einer nachhaltigen Lösung zu kommen. Bis Juni werde man erste Schritte erreichen. Schließlich müssten 2019 die Weichen gestellt sein, 2019 verlasse Großbritannien die EU, dann wähle man ein neues Europaparlament und Ende 2019 laufe die Amtszeit von Ratspräsident Donald Tusk aus. Auf all das müsse man sich vorbereiten.
Kritik von Lindner
Regierungserklärung? „Erklärt hat sich diese Regierung nicht“, kritisiert anschließend FDP-Fraktionschef Christian Lindner. Er habe keine klare und konkrete deutsche Position von Merkel gehört, höchstens von Andrea Nahles.
Die SPD-Fraktionschefin schlägt tatsächlich klare Pflöcke ein. Es sei zwar erfreulich, dass nach Jahren der Krise das Wachstum in der EU wieder Fahrt aufnehme. „Aber, wir dürfen uns nichts vormachen: Das Grundvertrauen in die EU ist noch lange nicht wiederhergestellt. Wir müssen mehr tun, um Zusammenhalt und Vertrauen zu stärken.“
Für Nahles heißt das: Bekämpfung der Armutsmigration, indem man europaweit gegen Lohndumping vorgehe und Mindestlöhne einführe. Wichtig sei, etwas gegen die Jugendarbeitslosigkeit zu tun, die in Griechenland 40,8 und in Spanien 36,8 Prozent betrage. Armutswanderung sei nur zu verhindern, wenn alle europäischen Länder soziale Sicherheitssysteme schafften, meint Nahles. Man brauche Verabredungen, dass jedes Land die Existenzsicherung leiste. Faire Regeln will sie auch bei Steuern schaffen.
Die AfD will möglichst wenig gemeinsame Regeln, weil sie sagt, dass Deutschland die EU finanziere. FDPChef Christian Lindner hat sich extra die ganze Redezeit der FDP bestellt, um sein Europa zu skizzieren. Scharf grenzt er sich von der AfD ab. Alice Weidel habe nicht erwähnt, „dass deutsche Beiträge zur EU unserer Wirtschaft den Zugang zum großen europäischen Binnenmarkt ermöglichen“, so Lindner. „Die wirkliche Gefahr geht von simplen und falschen Antworten von Nationalisten und Populisten aus.“
Doch auch Angela Merkel bekommt ihr Fett weg. „Frau Bundeskanzlerin, Frankreich ist zum Taktgeber avanciert.“Ein schlichtes Echo könne aber nicht die deutsche Antwort sein. Lindner zählt auf, was ihm am Herzen liegt. Eine effizientere Kommission müsse ein deutsches Anliegen sein. Die Europawahl müsse aufgewertet werden, fordert Lindner. Auch die FDP tritt für eine transnationale Liste zum Europaparlament ein und stimmt, das ist ungewöhnlich, dem entsprechenden Antrag der Grünen im Bundestag zu.
Lindner drängt aber auch auf Sparsamkeit. „Wir wollen höhere deutsche Zahlungen nicht ausschließen, aber anbieten wollen wir sie nicht.“Es sei richtig, auch nach Kürzungen im EU-Haushalt zu schauen. Und wenn Deutschland jetzt noch den Partnern vorschreiben wolle, wie sie ihren Sozialstaat zu organisieren hätten, dann läute man die nächste Phase der Europa-Skepsis ein. Schließlich habe die Jugendarbeitslosigkeit in Italien nichts mit der Sparpolitik von Merkel und Schäuble zu tun, sondern mit jahrzehntelang verschleppten Investitionen der Berlusconi-Ära.
Auch Unionsfraktionschef Volker Kauder mahnt Reformen an. „Eine Haftungsgemeinschaft bei der Einlagensicherung ist nicht der richtige Weg“, so Kauder. Erst wenn die Länder die notwendigen Reformen gemacht hätten, wäre das möglich.