Niederthai setzt alles auf eine Karte
Ötztaler Beschaulichkeit abseits von Remmidemmi und Riesenskigebieten
Es hat geschneit über Nacht. Morgens liegen 60 Zentimeter Neuschnee und es schneit weiter. Das bringt in Niederthai im österreichischen Ötztal aber niemanden aus der Fassung. Außer vielleicht ein paar Flachlandtiroler, die sich nach dem Frühstück prompt in der Hotellobby am Fenster versammeln, um die Aktionen der Einheimischen zu beobachten. Traktoren schieben riesige Schneeberge zur Seite, mit Fräsen werden Eingänge und Garagen freigeräumt, ein Gastwirt hilft einem Holländer, seinen Wagen auszugraben, und der Milchlaster biegt auch noch ums Eck. Was nördlich des Neckars Chaos bedeuten würde, wird hier geordnet und ruhig angegangen. Darauf ist man vorbereitet, gut ausgerüstet sowieso. Mittags sind die meisten Wege geräumt, die Schneemassen wieder idyllisch – und die Autos der Gäste sowieso nicht mehr zu sehen. Ist aber nicht weiter schlimm, die Urlauber bleiben meistens sowieso eine Woche. Holländer kommen verstärkt, Polen und Russen auch und Schweizer sowieso. Doch fast die Hälfte reist aus Deutschland an.
Kein Schneemangel
Zum Loipenspuren ist an diesem schneereichen Tag zwar wenig Zeit und kaum Kapazität vorhanden, aber die Urlauber scheint das nicht zu stören. Dann holen sie halt erst morgen die langen, dünnen Latten aus dem Skikeller. Wer bei diesem Wetter unbedingt raus will, geht eine Runde ums Dorf oder auf die schwarze, steile Taufenbergloipe, die kurzerhand zum Winterwanderweg umfunktioniert wurde.
Über Schnee freut man sich hier immer – und Mangel herrscht eigentlich selten. Schließlich liegt das Dorf Niederthai mit seinen 400 Einwohnern und 1000 Gästebetten idyllisch auf 1560 Metern auf einem Plateau, das vor langer, langer Zeit mal ein See gewesen ist und heute noch sandigen Untergrund hat. Umhausen, mit dem man sich den rührigen Bürgermeister nebst Verwaltung teilt, liegt im Tal und ist irgendwie ganz weit weg. Oben in Niederthai, auf der „Sonnenterrasse im Ötztal“, beginnt die Wintersaison mit dem ersten Schneefall – oft schon im November, wenn die Sommersaison gerade zu Ende gegangen ist – und dauert bis weit in den April hinein. Trotz dreier Hotels und vieler Appartmenthäuser ist der dörfliche Charakter erhalten geblieben. Neben der Kirche steht das Schulhaus, einen Bäcker gibt’s auch. Ein paar Milchbauern betreiben noch Landwirtschaft und bieten, sofern sie nicht längst überwiegend vom Tourismus leben, zumindest eine kleine Ferienwohnung im Dachgeschoss an.
„Auch wenn die beiden letzten Winter nicht so gut waren“, erzählt Michael Leiter von der Skischule Niederthai, „Kunstschnee brauchen wir eigentlich nur als Grundlage“. Rodelbahnen, Winterwanderwege, 31 Kilometer Strecken für Langläufer und Tourengeher gibt es hier. Davon sind 21 Kilometer reine Loipen. Bloß 21, wo Orte wie Seefeld mit 230 Kilometern werben? Skilehrer Michi ist überzeugt: „Das braucht kein Mensch. Unsere Gäste wollen sich ein bisschen bewegen, wollen die Natur und vor allem die Ruhe. Da reicht das vollkommen.“Er hat wohl recht. Die Gästebetten sind gut gebucht. Junge Einheimische zieht es anscheinend nicht weg, am Ortsrand wird gebaut, und sogar Berühmtheiten kommen gern. CDU-Politiker Bernhard Vogel war 1954 zum ersten Mal da, seither kommt er fast jedes Jahr. Der Bruder von Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen wohnt jetzt auch in Niederthai, seit Kurzem erst, aber dafür ganzjährig.
Loipengütesiegel Tirol
Die Niederthaier bieten den Gästen aber mehr als große Namen. Das Loipengütesiegel Tirol zum Beispiel, das streng kontrolliert wird und hohe Ansprüche stellt. Oder im Schnitt vier Sonnenstunden täglich, „wenn das restliche Ötztal im Schatten liegt“. Keine überfüllten Parkplätze, keine Discos und keine nächtens lärmende Partyhorden sind weitere Argumente, die vor allem für Familien und Erholungssuchende den Ausschlag geben könnten. Sölden oder Hochgurgl, die großen Skigebiete des Ötztals, liegen zwar nur ein paar zig Kilometer weiter taleinwärts, aber von ihnen bekommen die Besucher hier gar nichts mit. „Wer doch mal hin will, ist schnell dort und abends wieder zurück“, sagt Langlauflehrer Michi, der gelernter Zimmermann ist und auch noch eine kleine Landwirtschaft nebst Haflingerzucht betreibt.
Natürlich müssen die Niederthaier dem Gast auch etwas bieten. Idylle allein reicht schon längst nicht mehr. Deshalb gibt es bereits im zweiten Jahr die „Niederthai Card“, die allerhand verspricht. 85 Prozent der Gastbetriebe machen bereits mit, Tendenz steigend. Langlaufen ist damit grundsätzlich kostenlos, und sogar die drei Schlepplifte können umsonst genutzt werden. Eine geführte Laternenwanderung zum beleuchteten Stuibenwasserfall gibt’s gratis dazu. Die sollte niemand versäumen, vor allem nicht, wenn Luggi die Führung übernimmt, der, wie er stolz zugibt, „bereits im 72.“ist. Ruhig ist es dann zwar nicht, denn er erzählt gern und viel. Zum Beispiel, dass es hier so hügelig ist, weil das Gletscherschmelzwasser einst die Erde zusammengeschoben habe. Er zeigt, bis wohin das schlimme Hochwasser 2005 gegangen ist und – weil er gerade beim Thema ist – auch, wo der berühmte Urologe gewohnt hat, bei dem schon Jimmy Carter und Ronald Reagan in Behandlung waren. Luggi weist auch auf das Haus im Steilhang gegenüber hin. Erst seit 1980 führt eine Straße dorthin. Die Kinder der Familie wurden deshalb lange von einer Privatlehrerin unterrichtet. Die übrigens aus dem Hause der singenden Trapp-Familie stammte.
Wer in einem der Partnerbetriebe Urlaub macht, erhält die Niederthai Card kostenlos und kann damit drei Schlepplifte sowie sämtliche Loipen und Routen benutzen. Einmal dürfen Besucher umsonst die Biathlonanlage unter fachkundiger Anleitung testen, eine geführte Laternenwanderung sowie eine Schneeschuhwanderung mitmachen. Auch ein Langlaufschnupperkurs ist dabei. Bei den örtlichen Sportläden gibt es Vergünstigungen, und der öffentliche Ski- und Langlaufbus ist ebenfalls kostenlos.
Weitere Informationen im Internet unter
www.niederthaicard.oetztal.com und www.umhausen.com/ skigebiet-niederthai
Die Recherche wurde unterstützt von Ötztal Tourismus.