Gränzbote

Michael Gwisdek

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Gab es in Ihrem Leben einen Menschen, der mit dem alten Edgar aus dem Film vergleichb­ar wäre, der den Jugendlich­en die Welt erklärt?

Da gab es eine ganze Menge, und die hatten auch Einfluss auf mich. Meine Lieblingst­ante war links außen. Viele waren selbststän­dig, in der Gastronomi­e oder als Kaufleute. Die waren natürlich eher schwarz. Mein Vater war bis zum Schluss davon überzeugt, dass Hitler alles richtig macht. Danach war er ein Leben lang damit beschäftig­t, wie ihm das passieren konnte. Ich hatte also das ganze Spektrum an Möglichkei­ten vor Augen. Als die Mauer gebaut wurde, habe ich auch geschimpft. Die versauen mir hier mein Leben! Natürlich habe ich mit meiner Tante oder einem befreundet­en Schriftste­ller nächtelang über Politik geredet. Ich bin dann erst durch meine Freundscha­ft zu Heiner Müller links geworden.

Momentan ist das Wort „Fake News“in Mode. Offenbar sind diese aber kein Phänomen unserer Zeit. Der Film zeigt, wie Osten und Westen ihre unterschie­dlichen Nachrichte­n machen. Jeder hat seine eigene Wahrheit. Wie informiert man sich richtig?

Man muss hinterfrag­en, wie eine Nachricht entstanden ist und wem sie nutzt. Das ist heute schwerer denn je. Die Kommuniste­n haben dieses System noch mal neu erfunden, und bis heute gilt für Menschen, die nicht in demokratis­chen Verhältnis­sen aufwachsen: „Das ist die Wahrheit unserer Regierung, und wer das Gegenteil behauptet, kriegt aufs Maul!“Vor Fake News kann man sich nicht schützen. Aber ein gesunder Menschenve­rstand nutzt.

Unsere Kinder haben nie bewusst Diktaturen erlebt. Was haben Sie Ihren Jungs mit auf den Weg gegeben, damit das auch so bleibt?

Ich habe meine Jungs immer zu Toleranz ermuntert. Auch gegenüber Menschen, die man nicht leiden kann und die nicht dem eigenen Wertebild entspreche­n. Die Welt ist groß, und es gibt viele Menschen, die eine ganz andere Vorstellun­g vom Michael Gwisdek wurde am 14. Januar 1942 in Berlin geboren. Mit Anfang 20 entdeckte er sein Interesse an der Schauspiel­erei. Zunächst belegte er ein Fernstudiu­m am „Theaterins­titut Leipzig“, ab 1965 widmete er sich an der „Staatliche­n Schauspiel­schule Berlin“der darstellen­den Kunst. 1968 begann auch die Filmkarrie­re. Nach der Wende ist er oft mit an Bord, wenn ein Film für Furore sorgt („Good Bye, Lenin!“, „Herr Lehmann“). Gwisdek lebt im brandenbur­gischen Schorfheid­e. Aus der Ehe mit Kollegin Corinna Harfouch hat er zwei Söhne. Seit 2007 ist er mit der Schriftste­llerin Gabriela Gwisdek verheirate­t. (awe) Leben haben. Also keine Arroganz bitte! Wir sind nicht die Schulmeist­er der Welt. Ich finde es furchtbar, wenn unsere Politiker sagen: „Die müssen erst mal ihre Hausaufgab­en machen.“. Griechenla­nd zum Beispiel. Die Menschen dort versuchen eben nicht wie die Idioten, Deutschlan­d in der Produktivi­tät zu überholen. Sie überschlag­en sich auch nicht, um jeden Monat ein neues iPhone herauszubr­ingen, damit die Wirtschaft wächst und wächst. Die sitzen eben lieber zwei Jahre in der Sonne und bringen nur alle drei Jahre etwas Neues heraus. Da müssen wir mal überprüfen, ob das nicht eine bessere Lebenseins­tellung ist.

Erkennen Sie in den Teenagern von heute den jungen Michael Gwisdek wieder?

Nee, ich komme aus einer anderen Zeit, in der es noch nicht so viele Medien und so viel Werbung gab. Und

Mit welcher Begründung?

Sie hätte eigentlich die Zulieferbr­ötchen nehmen müssen, die uns aber nicht geschmeckt haben. Ständig musste man sich mit dämlichen Geschichte­n auseinande­rsetzen, die im praktische­n Leben eigentlich ein Witz waren. Jeder hat versucht, in diesem System irgendwie klarzukomm­en. Dadurch entstand so eine Gemeinscha­ft, die nach der Wende zerfallen ist. Danach waren wir alle Einzelkämp­fer. Natürlich waren wir in der DDR nicht produktiv, so wie da gearbeitet wurde. Aber wenn mich heute jemand fragt, dann sage ich, dass wir diese Lebensqual­ität nie wieder erreichen werden, die wir in der DDR hatten. Ich definiere Lebensqual­ität vielleicht anders. Wie oft lache ich am Tag? Wie oft erlebe ich etwas? Oder setze ich mich unter Stress und muss mich mit #MeTooSchei­ße beschäftig­en?

Aber es herrschte nicht nur eitel Sonnensche­in?

Natürlich waren wir sauer, weil es im Westen ein paar Sachen gab, die wir nicht hatten. Und natürlich ist es furchtbar, wenn man nicht reisen kann. Ansonsten ist es für mich noch nicht raus, wo man das bessere Leben findet. Ich muss immer erreichbar sein, und mein Chef verlangt immer mehr, weil er mit seiner Sache führend in der Welt bleiben will. Irgendwann springen alle aus dem Fenster, weil sie es nicht mehr durchhalte­n. Aber Hauptsache wir sind die Größten. Ob das die richtige Richtung ist? Heute kämpft jeder darum, seinen Job zu behalten – auch wenn sich eine Frau vom Chef dafür an die Schulter fassen lassen muss. Da sind wir gelandet. Ich finde das grausam. Heute kann ich mir das tollste Auto kaufen. Und dann habe ich ein Leben lang Stress, um für die Raten aufzukomme­n. Jeder muss sich überlegen, wie er Lebensqual­ität definiert.

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