Der Verfall hat begonnen
Am Sonntag wählt Russland einen Präsidenten – Experte sieht „Spätphase“Putins
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MOSKAU (dpa) - Im Schatten schwerer Konflikte mit dem Westen geht Russland an diesem Sonntag in seine Präsidentenwahl. Der wachsende Druck von außen mag Zufall sein. Doch er passt zum Ton, den Kremlchef Wladimir Putin vor seiner allseits erwarteten Wiederwahl angeschlagen hat. Seit 18 Jahren herrscht er, nun steuert Putin weitere sechs Jahre im Kreml an.
Putin (65) gab vor der Wahl nicht den Reformer, auch wenn er in seiner Jahresbotschaft Anfang März soziale Wohltaten und einen wirtschaftlichen Aufbruch versprach. Er ließ vor allem die Muskeln spielen und berichtete von neuen Atomwaffen. Nach außen sandte er ein beunruhigendes Signal: Russland ist in den kommenden Jahren bedroht. Das Signal nach innen: In der Not muss sich das Volk um den Oberbefehlshaber scharen.
Dabei ist die Einstellung der Russen zu ihrem Langzeitpräsidenten vielschichtig. Die vom Westen als Völkerrechtsbruch verurteilte Einverleibung der ukrainischen Halbinsel Krim 2014 hat seine Popularität hochgetrieben. Weniger beliebt ist das Eingreifen in Syrien. Russland modernisiert sich in den großen Städten. Doch die fetten Jahre zu Anfang seiner Regierung sind vorbei. Die Wirtschaft ist über Jahre geschrumpft und hat erst 2017 wieder ein kleines Wachstum erreicht.
Hohe Ausgaben für Rüstung und Sicherheit sind zulasten von Bildung und Gesundheitswesen gegangen. Vier Jahre in Folge haben die mehr als 140 Millionen Russen real immer weniger im Geldbeutel gehabt. Der Ärger über Korruption, über Behördenwillkür und Ungerechtigkeit ist groß. Aber die Kritik richtet sich gegen die Regierung, gegen Beamte und Polizisten, gegen Oligarchen – nicht gegen den Präsidenten. Putin hat viele Russen von seiner Unersetzlichkeit überzeugt. „Die Hauptbotschaft von Wladimir Wladimirowitsch ist ziemlich einfach: Ohne mich zerfällt alles! Deshalb lasst uns die Stabilität wahren und nichts ändern!“, sagt der Politologe Nikita Issajew.
Sorgen bereitet dem Kreml dennoch die Unlust der Wähler. 2012 nahmen offiziell 65,2 Prozent der Wähler teil, und Putin siegte mit 63,6 Prozent der Stimmen. Der Wähler wird nicht nur mit Konzerten in die Wahllokale gelockt oder mit der Verlosung von Smartphones. Es gibt Hinweise, dass Druck ausgeübt wird auf Firmenbelegschaften, auf Studenten oder Soldaten, zur Wahl zu gehen und für Putin zu stimmen. Er selbst meldete sich mit einem patriotischen Appell am Freitagabend. „Vom Willen jedes Bürgers hängt ab, welchen Weg unser Land beschreitet“, sagte er in einer Videobotschaft. „Ich appelliere an Sie: Gehen Sie am Sonntag ins Wahllokal.“
Putin stieß im Wahlkampf auf eine neue Art der Opposition, vor allem unter jungen Leuten. Der Anti-Korruptions-Aktivist Alexej Nawalny (41) hat mehrfach landesweite Demonstrationen organisiert. Auch wenn er keine Chance auf einen Sieg hätte, hat der Kreml nicht riskiert, Nawalny als Kandidaten zuzulassen. Stattdessen wurde er mit einer fragwürdigen Vorstrafe ferngehalten. Nawalny ruft deshalb zu einem Wahlboykott auf, um zu zeigen, dass die Unterstützung für Putin niedrig ist. Darauf reagierten die Behörden empfindlich. Sie haben Oppositionelle mit Durchsuchungen und Arreststrafen überzogen.
Sieben Kandidaten stellen sich
Die sieben zugelassenen Gegenkandidaten wie der Rechtsaußen Wladimir Schirinowski oder der altgediente Liberale Grigori Jawlinski agierten im gesteckten Rahmen. Die staatlichen Medien strichen heraus, wie zwergenhaft tief sie unter dem Amtsinhaber stehen. Höhepunkt ihrer Fernsehdebatte war, dass Schirinowski die Bewerberin Xenia Sobtschak beleidigte, und die ihn mit einem Glas Wasser überschüttete.
Mit dem kommunistischen Bewerber Pawel Grudinin (57) manövrierte sich die Staatsmacht in eine Zwickmühle. Der Chef eines großen Erdbeerhofs nahe Moskau hat Konten in der Schweiz verschwiegen, eigentlich ein Ausschlussgrund. Doch ein Rauswurf hätte die kommunistische Wählerschaft verprellt und die Beteiligung gedrückt.
Über allem schwebt der Eindruck, dass Putins Regierung mit dem 18. März in ihre Spätphase eintritt. Seine autoritäre Herrschaft habe „das Stadium der Reife erreicht“, schreibt der Experte Andrej Kolesnikow vom Moskauer Carnegie-Zentrum. „Doch mit 2018 hat der Übergang ins Stadium des Verfalls begonnen.“Der Verfassung nach geht Putin in seine letzte Amtszeit. An deren Ende 2024 wird er 71 Jahre alt sein. Doch die Kämpfe in der russischen Elite um seine Nachfolge dürften schon früher ausbrechen.