Weniger Geld für die Landwirtschaft, mehr für Grenzschutz
Der Entwurf zum EU-Finanzrahmen für die Jahre ab 2021 sieht trotz Brexit insgesamt mehr Geld vor – Europäische Steuern geplant
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BRÜSSEL – Wie viel Geld soll die Europäische Union in den Jahren zwischen 2021 und 2027 ausgeben? EUHaushaltskommissar Günther Oettinger hat die Rahmendaten des mehrjährigen Finanzrahmens vorgelegt, in dem festgelegt wird, welche Mittel die EU-Staaten für bestimmte Aufgaben zur Verfügung stellen. Es ist der erste Finanzrahmen nach dem EU-Austritt Großbritanniens. Nach Oettingers Wille soll der EU trotz des Brexit mehr Geld als bisher zur Verfügung stehen.
1,279 Billionen Euro sollen die EU-Staaten in der Finanzperiode von 2021 bis 2027 für Gemeinschaftsaufgaben aufbringen – kalkuliert nach heutigen Preisen. Die durch den Ausstieg Großbritanniens gerissene Lücke von jährlich etwa zwölf Milliarden Euro würde zur Hälfte durch Einsparungen, zur Hälfte durch höhere Beiträge der Mitgliedsstaaten kompensiert. Auf Deutschland kämen jährlich nach heutigen Preisen Mehrbelastungen von 3,5 bis vier Milliarden Euro zu. Die Rechnung könnte aber mittelfristig auf bis zu 12 Milliarden pro Jahr steigen, schätzt Haushaltskommissar Oettinger.
Die EU-Kommission drückt in dem Verfahren aufs Tempo. Sie drängt Mitgliedsstaaten und Parlament, möglichst sofort in die Verhandlungen einzusteigen, damit das Paket noch vor dem Europawahlkampf kommendes Frühjahr geschnürt werden kann. Sollte das nicht gelingen, müsste ein neues Parlament nach der Sommerpause 2019 mehr oder weniger von vorn anfangen. Im Herbst kommt dann zusätzlich eine neue EU-Kommission ins Amt. Oettinger wird nicht müde, vor den Folgen zu warnen. Vor Beginn der letzten Finanzperiode zog sich der Streit zwischen den Mitgliedsstaaten buchstäblich bis zur letzten Minute hin, erst im Dezember 2013 gab es eine Einigung. Im Jahr 2014 lagen dadurch viele Gemeinschaftsaufgaben auf Eis.
Niederländer auf der Sparbremse
Ginge es nur nach den Europaabgeordneten, wäre ein größeres EUBudget kein Problem. Die Finanzminister aber sehen das anders. Bei der letzten Runde war es vor allem Großbritannien, das nicht mehr als ein Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Gemeinschaftsaufgaben lockermachen wollte. Nach dem Brexit sind es die Niederländer, die auf die Sparbremse treten. Während die EU-Kommission vorschlägt, die nach dem Britenrabatt geformten Beitragsnachlässe für Nettozahler schrittweise abzubauen, wollen die Niederländer ihren Rabatt behalten.
Deutschland hingegen hat bereits eingewilligt, künftig einen größeren Betrag nach Brüssel zu überweisen. Dennoch werden sich die Verhandlungen auch bei dieser sechsten Mehrjahresplanung wieder zäh gestalten. Zwar sind sich alle Mitgliedsstaaten einig, dass die EU neue Aufgaben in der Verteidigung, beim Grenzschutz, im Kampf gegen den Terrorismus und bei der Bekämpfung der Fluchtursachen übernehmen muss. Doch niemand sagt, wo das Geld herkommen soll. Deshalb schlägt die Kommission nun vor, das Budget dadurch unabhängiger zu machen, dass die Einnahmen aus dem Handel mit Klimaverschmutzungsrechten, aus der geplanten Umsatzsteuer für Internetkonzerne und aus einer neuen Plastiksteuer direkt in den EU-Haushalt fließen sollen. Die nationalen Beiträge könnten entsprechend gesenkt werden.
Insgesamt versucht die Kommission mit ihrem Entwurf möglichst vielen Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die Agrarausgaben sollen um fünf Prozent, die Direktzahlungen um vier Prozent gekürzt werden. Die Mittel für die Strukturförderung sollen um sieben Prozent schrumpfen. Deutlich mehr Geld gibt es für Auslandsaufenthalte von Studenten und Azubis, für die Forschung im zivilen und Verteidigungsbereich, für die Anschaffung von Rüstungsgütern und den Schutz der Außengrenzen. Das Personal bei der europäischen Grenzschutzagentur Frontex soll stufenweise von derzeit 1200 auf 10 000 Beamte steigen.
Warschau und Budapest im Visier
Geschickt zieht sich die Kommission bei der Frage aus der Affäre, ob Ländern mit rechtsstaatlichen Defiziten wie Polen und Ungarn die Strukturmittel gekürzt werden können. Ein neues Verfahren soll prüfen, ob die Gerichtsbarkeit eines Landes unabhängig arbeitet. Ist das nicht der Fall, sollen Mittel mit dem Argument einbehalten werden, dass der Schutz gegen Misswirtschaft und Korruption nicht mehr gewährleistet sei. Doch die in der Kritik stehenden Regierungen in Warschau und Budapest werden verstehen, dass die Regelung für sie erfunden wurde. Deshalb ist ihre Zustimmung unwahrscheinlich. Der mehrjährige Haushaltsrahmen aber kann nur von allen Regierungen gemeinsam beschlossen werden.