Dashcam-Urteil
Mini-Kameras im Auto als Beweismittel zugelassen
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RAVENSBURG - Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe erlaubt die Verwendung kurzer Videoaufnahmen, um Verkehrsunfälle zu klären. Dabei mussten die Richter zwischen dem Schutz der Persönlichkeitsrechte und der Aufklärung von Unfällen abwägen. Während Autofahrerverbände das Urteil positiv aufnahmen, gibt es auch kritische Stimmen.
Die Argumentation der Juristen: Die Unfallbeteiligten müssen ohnehin Angaben zur Person, zum Führerschein und zur Versicherung machen. Und manchmal könne die Aufklärung der Unfälle eben wichtiger sein als der Schutz der Persönlichkeitsrechte. Die Nutzung der Aufnahmen muss je nach Fall abgewogen werden (VI ZR 233/17).
Der ADAC begrüßt die Entscheidung, wie aus einem kurzen Statement zum Urteil hervorgeht. Denn es gehe nicht um privates Ausspionieren, sondern um dass im öffentlichen Verkehrsraum gefilmt wird, wo jeder gesehen wird und das auch wisse. Das Recht des Unfallgeschädigten, seine Ansprüche durchzusetzen, sei besonders hoch anzusehen. Umgekehrt könne der Unfallverursacher sein Recht am eigenen Bild „nicht als Schutzschild vor sich hertragen, um sich aus der Zahlung der Unfallfolgen zu stehlen“.
Technisch möglich
Anlassloses Dauerfilmen bleibt auch nach dem Urteil des BGH verboten und strafbar, weil es gegen den Datenschutz verstößt. Erlaubt ist nur eine „kurze Aufzeichnung des unmittelbaren Unfallgeschehens“. Wie das technisch möglich ist, erklärt ADACSprecher Johannes Boos. „Manche Kameras überschreiben das Aufgenommene in einem kurzem Turnus von etwa drei Minuten.“Dann seien immer nur diese drei zuletzt aufgezeichneten Minuten auslesbar. Andere erkennen quasi, wenn ein Unfall passiert. Durch Sensoren werden Erschütterungen oder Verzögerungen wie abruptes Bremsen registriert.
Derzeit sind Dashcams hierzulande noch nicht sehr verbreitet. In den vergangenen drei Jahren wurden laut Branchenverband Bitkom rund 150 000 Dashcams in Deutschland verkauft. Sie erzielten im vergangenen Jahr einen Umsatz von mehr als vier Millionen Euro. Im Schnitt lassen sich die Autofahrer die Kameras demnach 88 Euro kosten. Die Geräte lassen sich im Internet bestellen, die Preisspanne reicht vom Billiggerät für rund 15 Euro bis zum Premiummodell für fast 200 Euro.
Eine größere Rolle könnten die Kameras in Zukunft spielen, wenn sich autonom fahrende Autos in den Straßenverkehr mischen: „Da wird man an den Punkt kommen, wo man den Unfallhergang rekonstruieren muss.“Ob Autohersteller solche Kameras irgendwann in ihre Modelle integrieren werden? „Nicht ausgeschlossen.“
Bevor die Dashcam aber eventuell irgendwann serienmäßig kommt, müsse sich jeder Autofahrer fragen, ob er überhaupt eine Dashcam benötige. „Die hilft ihnen vor Gericht auch nur, wenn der Unfall nicht ohne die Aufnahmen aufgeklärt werden könnte.“Das sei aber in wenigen Fällen so. „Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass es da jetzt einen großen Ansturm geben wird“, sagt Boos. Er hofft, dass der Gesetzgeber bald nachbessert: „Es wäre sinnvoll, wenn der Gesetzgeber einen Rahmen schafft, der die Aufnahmedauer genau definiert.“Ob drei, fünf oder zehn Minuten gefilmt werden dürfe, sei ein Unterschied.
Kein Freibrief für Hobbyermittler
Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) begrüßte das Urteil aus Karlsruhe. Es führe zu mehr Rechtssicherheit, erklärte Gewerkschaftschef Rainer Wendt. Die Kameras könnten auch zum Nachweis von Verkehrsstraftaten wie Nötigungen durch Drängler dienen, für die es bislang „allein das brüchige Beweismittel der Aussage des Genötigten“gebe. Ein Freibrief für „Hobbypolizisten und selbsternannte Hilfssheriffs“ist das Urteil für Arnold Plickert, Vizechef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) nicht: Nach wie vor sei die Polizei zuständig für die Überwachung des öffentlichen Straßenverkehrs.
Der netzpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Konstantin von Notz, sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“, immer kostengünstigere moderne Technik dürfe nicht „zu einer faktischen Totalüberwachung des öffentlichen Raums führen. Datenschutz ist eben nicht der reine Schutz von Daten, sondern der Schutz unserer Privatheit.“
Für einen Autofahrer aus Sachsen-Anhalt ist die BGH-Entscheidung ein Erfolg. Er wollte im konkreten Fall seine Unschuld an einem Unfall in Magdeburg anhand der Aufzeichnungen seiner Dashcam beweisen – doch weder das Amtsnoch das Landgericht berücksichtigten diese. Weil die Aufnahmen gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen verstießen, dürften sie nicht als Beweis herangezogen werden, hatten die Magdeburger Richter argumentiert. Der BGH sah dies anders. Er hob das Berufungsurteil auf und verwies es zur Neuverhandlung zurück.