„Ich glaube, das bringt der CSU nicht viel“
Für Politikwissenschaftler Oberreuter steht das Parteiensystem auf dem Spiel – Warnung vor Untergangsrhetorik
RAVENSBURG - Die CSU geht auf Konfrontation zur Schwesterpartei CDU – und nimmt dabei offenbar einen Sturz der Regierung in Kauf. Warum tun die Christsozialen das? Was bringt es ihnen? Sebastian Heinrich hat darüber mit Heinrich Oberreuter gesprochen, dem Politikwissenschaftler, der die CSU wohl wie kein Zweiter kennt.
Herr Oberreuter, warum lässt die CSU es jetzt zum Showdown mit der CDU kommen?
Weil sie die bayerischen Landtagswahlen Mitte Oktober im Blick hat. Die CSU will dort ihre beherrschende Stellung in Bayern behaupten – also die absolute Mehrheit der Sitze im Landtag. Die CSU geht jetzt auf volle Konfrontation, weil sie aus dem schlechten Ergebnis bei der Bundestagswahl eines gelernt hat: Die Bundeskanzlerin erst permanent zu kritisieren und dann unmittelbar vor der Wahl mit ihr auf der Couch zu kuscheln, das haben die Wähler nicht verstanden. Wenn man diese beiden Dinge zusammennimmt, dann versteht man, warum die CSU jetzt aufs Ganze geht. Wobei sich die Frage stellt, ob nicht etwas anderes noch viel wichtiger wäre.
Was meinen Sie damit?
Es geht ja schlechthin auch um das Verhältnis der CSU zur CDU. Es geht um die Stabilität der Regierung und die Zukunft unseres demokratidiese Heinrich Oberreuter (Foto: dpa) war bis 2011 Leiter der Akademie für politische Bildung im oberbayerischen Tutzing. Er ist langjähriges Mitglied der CSU – und der wohl profilierteste Experte zur Partei. (se) schen Parteiensystems. Und ich würde als nüchterner Politikwissenschaftler sagen, das ist wichtiger als die Landtagswahl und die Zukunft eines Ministerpräsidenten.
Glauben Sie, dass die Strategie der CSU funktionieren kann?
Eher nicht. Egal, wie die Dinge sich jetzt entwickeln: Die CSU muss sich mit dem Gedanken anfreunden, dass in Zukunft schon Ergebnisse von über 35 Prozent ein Erfolg sind. Die Volksparteien können ihre Integrationskraft nicht verteidigen, weil die Gesellschaft sich egozentrischer entwickelt. Da sollte die CSU mal auf die SPD blicken, auf die Entwicklung im Rest Europas. Die CSU soll mal akzeptieren, dass ihre überstarke Stellung nicht auf Sympathie und den Zustimmungsraten der Menschen zu Details ihrer Politik beruhen. Sondern darauf, ob die CSU Erfolge vorweisen kann bei der Modernisierung des Landes und ob sie eine regionale Identität verkörpert. Das ist das Alleinstellungsmerkmal der CSU, davon hängt ihre Stärke ab. Das weiß sie auch. Deswegen will sie sich durchsetzen. Gelingt das nicht, birgt Strategie das Risiko der Marginalisierung in Berlin.
Aber bringt dieses Vorpreschen der CSU jetzt zumindest etwas für die bayerische Landtagswahl?
Ich glaube, das bringt nicht viel. Für eine Wirksamkeit auf das Wahlergebnis am 14. Oktober ist es ohnehin ziemlich spät. Der Teil der Leute, die ihr Vertrauen aufgegeben haben, die sich distanziert haben, die weiter Zweifel an der Kompetenz derer haben, die politisch führen, lässt sich dadurch nicht überzeugen. Außerdem wird sich bis Oktober in der Praxis sowieso nichts tun. Die Ergebnisse einer Wende in der Asylpolitik entfalten ihre Wirksamkeit nicht so, dass sie zum Wahltermin schon sichtbar sind.
Riskiert die CSU mit ihrer Politik, moderatere und liberale CSUWähler zu verlieren?
Dieses Risiko besteht sowieso: bei gläubigen Christen, die es nicht ertragen, dass man ihr oberstes Symbol, das Kreuz, zu Wahlkampfzwecken nutzt; bei CSU-Wählern, die in der Flüchtlingshilfe aktiv sind. Es gibt ja in Bayern einen liberalen Teil der Wählerschaft, die die CSU wegen der CDU wählen. Interessant finde ich da, dass der ehemalige Bundesfinanzminister Theo Waigel jetzt an Kanzlerin Merkel appelliert hat, auf die CSU zuzugehen, um die Union zwischen CDU und CSU zu retten: also einer Grenzschließung vorerst zuzustimmen, bis es eine europäische Lösung gibt. Aber für einen solchen Kompromiss sind die Fronten fast schon zu verhärtet.
CSU-Generalsekretär Markus Blume spricht von „Stabilität, die Menschen in Deutschland vermissen“, davon, dass sich am Land „versündigt“, wer keine Wende in der Asylpolitik herbeiführt. Was halten Sie von dieser Rhetorik?
Der Politikwissenschaftler
Die Rhetorik der CSU ist zum einen apokalyptisch. Eine solche Rhetorik würde ich mir nicht anhängen, wenn ich in Regierungsverantwortung wäre. Zum zweiten ist diese Rhetorik aggressiv und nicht friedensstiftend. Man muss ja auch Respekt vor Amtsinhabern haben – sonst braucht man sich nicht zu wundern, warum zurückgekeilt wird.