Der Stoff, aus dem die Würste sind
Künstlerin Alraune zeigt ihre textilen Arbeiten in Haigerloch und Wien
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HAIGERLOCH/WIEN - Hier geht’s um die Wurst. Es sind fantastische Figuren, die Alraune aus Stoff zaubert. Die aus Tübingen stammende Künstlerin, bürgerlich Stefanie Siebert, stellt in Haigerloch unter dem Titel „Alraunes Gefühl für Wurst“ein neues Figurenarrangement aus. Bis Ende Juli ist überdies im Wiener Theatermuseum in der Serie „Korrespondenzen“eine Ausstellung von Alraunes Arbeiten im Dialog mit dem berühmten Triptychon des Jüngsten Gerichts von Hieronymus Bosch unter dem Titel „Alraune: Textile Höllenqualen“zu sehen.
Nahezu alles, was die Künstlerin macht, besteht aus Stoff, ist genäht, und sieht doch frappant echt aus. Das hat einen feinen ironischen Unterton. Die Täuschung ist zwar erkennbar, und doch würde man gerne in den genähten Schinken beißen. „Das Nähen interessiert mich eigentlich gar nicht, ich kann das halt gut“, sagt Alraune. „Ich sehe mich eher als Bildhauerin, oder von mir aus Weichbildnerin.“Nähen ist das Handwerk für das künstlerische Konzept, es gibt keine Schnittmuster für Schweinsköpfe oder exzentrische alte Ladies. „Dem Nähen haftet immer so etwas von der Basteltante an, aber das ist eine Technik, die ich in Jahrzehnten verfeinert habe“, sagt Alraune. Mit Nähen hat das alles in der Tat nur noch den Vorgang des Zusammenfügens zu tun, der Rest ist Gestaltung und Kunst.
Alraunes Figuren- und Objektarrangements, die in den vergangenen 38 Jahren entstanden sind und immer wieder verändert, ergänzt und erweitert wurden, konnte man unter anderem schon im Liberty in London, im Forum des Halles in Paris oder im KaDeWe in Berlin bewundern. Hinzu kamen zahlreiche Einzelausstellungen.
Doch ihr Wunsch war immer, Konzepte auch nach eigenen Vorstellungen umzusetzen. Nachdem sie 2014 das ehemalige Hotel Schwanen am Marktplatz in der Unterstadt von Haigerloch erwerben und in ihr Privatmuseum umwandeln konnte, gibt es dort jährlich wechselnde Ausstellungen. Nach Themen wie „Menschen im Hotel“, „Sanatorium“oder „Seniorenresidenz“nun also das „Gefühl für Wurst“.
„Ich liebe das Essen und die Wurst“, sagt Alraune, sie habe schon 1988 ihre erste Wurst genäht. „Vielleicht ist es das Weiche, das mich an der Wurst so reizt“, überlegt sie, „das Weiche ist das Wunderbare.“Viele der Dinge, die sie näht, zum Beispiel einen Schweinskopf, kauft die Künstlerin als Vorbild auf dem Münchener Viktualienmarkt. Die diesjährige Ausstellung im Schwanen macht in der Tat Appetit auf Fleischliches. Die überbordende Metzgerei „Gänsehaut“, das wurstbehängte Kellner-Ensemble oder die skurrile Wurstküche mit verschiedenen berühmten Personen könnten die Besucher zum nächsten Gang in die Fleischerei animieren. Aber so ungebrochen bleibt, bei aller Liebe zur Wurst, die Anregung nicht. Und wenn Vegetarier oder gar Veganer sich irritiert zeigen, spottet sie: „Ich bin doch Extremveganerin, ich mache alles aus Stoff.“
Alraune liebt das Essen
Eigentlich ist Wurst in Alraunes Welt offensichtlich ein außergewöhnlich vielfältiges Ding, mit zahlreichen Eigenschaften, Reizen und Verwendungsmöglichkeiten. Da wird aus einer Wurst ein Orakel, Würste dienen als Klaviatur oder werden zum Christbaumschmuck. Unter Umständen kann der Wurstgenuss auch zu schwerwiegenden chirurgischen Eingriffen führen, wie ein Arrangement in einem OP zeigt. Zur Entlastung gibt es einige wunderbare, genähte Austern vor einem an Courbet erinnernden Seestück. Hier und da sind auch noch andere Meeresfrüchte versteckt, Alraune liebt ja das Essen.
Es sind die immer wieder fantastischen und surrealen Details, die Alraunes Figuren – bloß nicht Puppen sagen – in jeder Konstellation zu einem neuen Erlebnis werden lassen. Ihr Ideenreichtum, ihr Witz und ihre handwerkliche Perfektion machen ihre Arbeiten einzigartig.
Die Ausstellung in Haigerloch „Alraunes Gefühl für Wurst“ist bis zum 28. Oktober von Donnerstag bis Sonntag und feiertags jeweils von 14 bis 17 Uhr zu sehen. Weitere Infos unter www.panoptikum-siebert.de