Viele sind zuständig, keiner ist verantwortlich
Opposition fordert, die Lehren aus dem NSU-Skandal zu ziehen – FDP-Abgeordneter Benjamin Strasser will klare Aufträge zur Terrorabwehr
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BERLIN - Welche Lehren kann die Politik ziehen aus dem NSU-Skandal? Diese Frage beschäftigt in Berlin viele nach dem Urteil in München. „Das Urteil darf kein Schlussstrich unter die Debatte um politische Konsequenzen sein“, sagt der FDP-Innenpolitiker Benjamin Strasser. Die Bundesregierung, so Strasser, verweigere sich einer „seit Jahren dringend notwendigen Reform der deutschen Sicherheitsarchitektur“.
Für Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter ist die Rolle des Verfassungsschutzes besonders problematisch. Das V-Leute System habe sich als desaströs erwiesen. Auch Hofreiter hält weitere Reformen in den Sicherheitsbehörden für zwingend notwendig.
Der Ravensburger FDP-Abgeordnete Strasser zieht Parallelen zum Attentat auf dem Breitscheidplatz, bei dem Ende 2016 zwölf Menschen starben. Dieser Anschlag habe erneut die Frage nach Verantwortlichkeiten und der Arbeit im gemeinsamen Terrorabwehrzentrum gestellt. „Leider sind in Deutschland im Sicherheitsbereich immer noch zu viele Behörden zuständig, aber im Ernstfall keine verantwortlich“, so Strasser. Er fordert, in einem Gesetz die rechtlichen Grundlagen des Terrorabwehrzentrums festzulegen, so dass klare Zuständigkeiten und klare Arbeitsaufträge vorhanden sind. Dass der Attentäter Anis Amri 2016 sieben Mal Thema bei Besprechungen im Terrorabwehrzentrum gewesen sei, ohne dass dies zu Konsequenzen führte, sei völlig unverantwortlich.
Der Obmann der Unionsfraktion im Innenausschuss, Armin Schuster, lobt, dass nicht nur im Gerichtsverfahren, sondern auch in 13 Untersuchungsausschüssen in den Ländern und im Bund der NSU-Skandal erforscht und ein „umfassendes Systemversagen der Behörden und der Politik“aufgedeckt wurde. Das Ende des Prozesses sei aber nicht das Ende der Aufklärung, so Schuster. Er zieht jedoch andere Konsequenzen als die Opposition. Die noch offenen Fragen, warum gerade diese Menschen getötet wurden und wer sie als Opfer ausgesucht hat, könnten nur aus dem Kreis der Täter beantwortet werden, meint Schuster. „Was Rechtsstaat und Zivilgesellschaft zur Aufklärung beitragen können, wurde geleistet.“Für SPD-Fraktionsvize Eva Högl ist die Aufarbeitung nicht am Ende. Engagement und Aufklärungswille der Behörden dürften nicht nachlassen. Darüber hinaus sei klar, dass die gesellschaftliche Aufarbeitung bei Weitem noch nicht beendet sei.
Debatte in die Gesellschaft tragen
Auch Brigitte Döcker, Vorstandsmiglied der Arbeiterwohlfahrt, fordert, die Aufarbeitung und Schlussfolgerungen aus dem gesamten NSU-Prozess jetzt aus dem Gerichtsaal in die Gesellschaft zu tragen. „Wir wollen in einer Gesellschaft leben, in der sich alle ungeachtet ihrer Herkunft gleichermaßen sicher fühlen können.“Die zahlreichen Pannen und Aktenvernichtungen bei der Aufarbeitung des NSU-Terrors hätten gezeigt, dass die Wirklichkeit diesen Erwartungen noch nicht entspreche.