Es klappert wieder
Die Populationen der Störche im Süden wachsen
SALEM - Die schönste Geschichte über Klapperstörche dürfte immer noch jene sein, die Kindern erzählt wird: dass sie nämlich einst vom Storch gebracht worden seien. Stefan Bischof ist offenbar im Bilde: „Gerade habe ich ein Storchenfoto an meine Schwägerin geschickt, eine frischgebackene Oma“, berichtet der in kurzen Hosen steckende Unterfranke. Er urlaubt und befindet sich im Eingangsbereich des Salemer Affenbergs, einem Ausflugsziel im westlichen Bodenseeraum, bekannt durch seine frei laufenden Berberaffen.
Was der Name Affenberg nicht verrät, ist eine weitere, dazugehörende Einrichtung: die 1978 gegründete, traditionsreiche Storchenstation. Hier hat Bischof begeistert fotografiert und meint: „So viele Störche! Sensationell.“In der Tat: Die Dächer des historischen Hofguts am Anfang des Affenberggeländes sind voll von den großen weiß-schwarzen Vögeln. Lautstark klappert es in luftiger Höh. „Wir haben hier 45 Brutpaare“, sagt der drahtige promovierte Biologe Roland Hilgartner, seines Zeichens Direktor des Affenbergs.
Pro Paar kommen noch zwei bis vier Jungstörche hinzu. Eine Menge Vögel. Die reine Zahl sagt aber noch wenig über die Populationsentwicklung aus. Um sie richtig einsortieren zu können, braucht es einen Vergleich. So waren 1975 in ganz BadenWürttemberg nur noch 15 Brutpaare übrig. Dem Klapper- oder Weißstorch drohte hierzulande das Aussterben. „Dies ist nicht mehr so“, erklärt Hilgartner. „Die Bestände haben seitdem zugenommen.“
Jenen, die mit offenen Augen durch die Gegend fahren, dürfte dies in jüngster Zeit nicht verborgen geblieben sein: Futter suchende Störche, die über Wiesen schreiten, neue Horste auf Dächern. Adebar, wie der Storch in Fabeln heißt, gehört nicht mehr zu den Tieren, die nur noch den Großeltern bekannt waren. Vergangenes Jahr hat das Land BadenWürttemberg bereits 1055 Brutpaare verzeichnet. Ganz offensichtlich eine Erfolgsgeschichte in Sachen Artenrettung und Artenschutz – zumal auch die Nachbarn von immer mehr Störchen berichten.
500 Brutpaare in Bayern
Aus Bayern meldet der dortige Landesbund für Vogelschutz innerhalb von 30 Jahren eine Steigerung von 60 auf rund 500 Brutpaare. „Erst im Frühjahr sind wieder rund 40 Neuansiedlungen gemeldet worden“, heißt es. Im Elsass, das den Storch als liebstes Symboltier pflegt, ist inzwischen von mehr als 800 Brutpaaren die Rede – so viele, dass es manchem in der schmalen Grenzregion am Oberrhein bereits zu viel wird. Schließlich hinterlassen die Vögel jede Menge Kot auf den Dächern – in der Storchenhochburg Münster im gleichnamigen elsässischen Tal flächendeckend zu beobachten.
„Kot kann man abwaschen“, meint Biologe Hilgartner gelassen. Auf dem Affenberg geschehe dies schließlich auch. Mag sein. Aber für manchen Zeitgenossen ist es vielleicht doch gewöhnungsbedürftig, plötzlich Störche auf dem Dach zu haben – nicht nur wegen der Ausscheidungen. Die Störche liebäugeln teilweise mit einem Horstbau auf dem Kamin. Hilgartner weiß von einem Fall in seinem Umfeld, bei dem eine Bäckerei betroffen war. Da habe das Nest vor dem Brüten verlegt werden müssen – eine pragmatische Lösung. Wobei so etwas in Vogelschützerkreisen durchaus umstritten ist. Schließlich sind Störche EU-weit streng geschützt.
Verfolgt wurden sie jedoch nie. Störche haben nicht nur einen Sympathievorsprung als märchenhafte Kinderbringer, sie gelten ebenso als Nützlinge, weil unter anderem Insekten und Schnecken zu ihrem Futter gehören. Dass ihnen der Garaus drohte, hat trotzdem mit dem Menschen zu tun – genauer mit seinem Wirtschaften. In der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts verschwand vieles, was diese Vögel schätzen – etwa Feuchtwiesen als gedeckten Tisch. Die Intensivierung der Landwirtschaft tat ein Übriges, ebenso die Stromversorgung. Leitungsmasten waren früher weit weniger als heutzutage durch eine Isolatorenoder Leitungsabdeckung gesichert. Das kostete viele Störche das Leben.
Im Grunde genommen sind diese Umstände dieselben geblieben – außer dass sich bei den Strommasten einiges zum Besseren geändert hat. Aber selbst hier klagen Ökoverbände wie der Naturschutzbund, dass Energieversorger mit dem Sichern der Masten mehr gegen den Stromtod tun könnten. Die positive Kehrtwende bei der Populationsentwicklung muss also andere Gründe haben. „Ansiedlungsprojekte stecken dahinter“, sagt Hilgartner. Auch auf dem Affenberg sei dies so gewesen.
Hilgartner erzählt: „1978 sind Störche im Rahmen der Wiederansiedlung aus dem Basler Zoo hergebracht worden.“Den Winter über seien sie auf dem Affenberggelände in Flugvolieren gehalten worden. Im darauffolgenden Frühling hätten die Vögel dann ihre Freiheit erhalten. Zugleich habe der Affenberg Horste zur Verfügung gestellt und zugefüttert. „Auf diese Weise“, erzählt Hilgartner, „ist man hier zu den ersten frei fliegenden Störchen gekommen.“
Wobei es einen eher unerwünschten Effekt gab: Diese Urstörche legten ihr natürliches Zugverhalten Richtung Süden ab. Ein Punkt, der manchen Vogelschützer auf die Palme bringt, weil das nur wenig mit dem Verhalten einer natürlichen Population zu tun habe. Hilgartner berichtet hingegen von der Erfahrung, dass alle Nachfolgegenerationen der damals hergebrachten Vögel Jahr für Jahr ihrem natürlichen Zugdrang folgen würden. Er meint: „Wir haben hier im Lande durch die Wiederansiedlung eine künstliche Population, die alle Merkmale einer natürlichen Population zeigt.“
Dies heißt, die allermeisten der Affenberg-Störche fliegen Mitte August in wärmere Gefilde – bis zum nächsten Frühjahr. Ihre Route führt zur Iberischen Halbinsel. Viele Vögel queren dann das Mittelmeer bei der Straße von Gibraltar. Wie Hilgartner sagt, seien von seinen Störchen einige sogar bis Mali in Westafrika gekommen. Weil sie beringt sind, lässt sich dies nachvollziehen. Abgesehen von der beeindruckenden Strecke, die von den Vögeln zurückgelegt wird, zeitigt der Storchenzug noch ein unerwartetes Ergebnis: Er ist ein ausschlaggebender Grund, weshalb sich die Populationen nicht nur halten, sondern auch vergrößern.
Eine elementare Nahrungsquelle
Es handelt sich um einen leicht anrüchigen Grund: offene Müllkippen in Spanien und Portugal. Die Forschung ist sich einig, dass die Abfallhaufen im Winterquartier eine elementare Nahrungsquelle sind. „So verringert sich die Zahl der Ausfälle“, erklärt Hilgartner. Mit anderen Worten: Mehr Störche kehren vom Vogelzug zurück. So weit die positive Nachricht. Hilgartner ergänzt jedoch, die Lage könne sich rasch ändern, wenn die Müllkippen geschlossen würden. Ein weiterer negativer Faktor könnten Dürreperioden sein. Sollte in Nordafrika mit viel Spritzmittel gegen die von Bauern gefürchteten Heuschreckenschwärme vorgegangen werden, wirke sich dies ebenfalls schlecht auf die Storchenpopulation aus.
Auch im Hinblick auf süddeutsche Landstriche sind die Bedingungen nicht so, dass die Erfolgsgeschichte der Storchenrettung ein Selbstläufer wäre. Der Landesbund für Vogelschutz in Bayern verweist auf „den Flächenfraß“, ein speziell im Freistaat seit Jahren hart diskutiertes Thema. Tag für Tag verschwindet dort eine Fläche in der Größe von 18 Fußballfeldern unter Beton oder Asphalt.
Aktuell ist nach wie vor das Thema Landwirtschaft. Maismonokulturen, wie sie sich zum Beispiel in Oberschwaben streckenweise entwickelt haben, gelten in der Ökoforschung als kontraproduktiv, was den Artenschutz angeht. Im Allgäu mit seiner ausgeprägten Milchwirtschaft wird manche Wiese bereits bis zu siebenmal im Jahr gemäht sowie nachfolgend mit Gülle gedüngt. Die Folge: Grünwüsten ohne Blumen oder Kräuter – und eben weitgehend ohne Insekten, also ohne Storchenproviant. Hilgartner weist darauf hin, dass „Störche allein für ihren Nachwuchs bis zu fünf Kilogramm Nahrung am Tag brauchen“und fordert „mehr Anstrengungen zur Renaturierung von Bach- und Flussläufen“. Dies trifft den ökologischen Zeitgeist. Flächendeckend ist so etwas nicht möglich. Das weiß auch der Biologe. Beim Reden über Störche geht es eben oft um ein „Schönwäre-wenn ...“
Abseits von solchem Philosophieren muss Hilgartner aber seinen aktuellen Storchenbestand im Blick haben. Der Nachwuchs wird flügge. Für manchen Jungvogel bedeutet der erste Flugversuch einen senkrechten Absturz.
Gerade als Hilgartner so von der Storchenstation erzählt, schlägt prompt ein Storchenjunges in der Nähe des Biergartens auf. Besucher laufen herbei. „Der Arme! Ist er verletzt?“, sorgen sie sich. Hilgartner springt hinzu. Da probiert der Jungstorch nochmals das Flattern, er nimmt Anlauf – und fliegt weg. „So ein schöner Vogel“, ruft ihm Peter Dreesmann, ein Gast vom Niederrhein, hinterher. Ein kleines Mädchen lässt seine Limonade auf dem Biertisch stehen und fragt: „Bringt der jetzt die Kinder?“
„1978 sind Störche zur Wiederansiedlung aus dem Basler Zoo hergebracht worden.“Roland Hilgartner, Biologe und Direktor des Affenbergs Salem
„Wir haben hier eine künstliche Population, die alle Merkmale einer natürlichen zeigt.“Roland Hilgartner, Biologe und Direktor des Affenbergs Salem