Gebrauchsanleitung für die Börse
Wo Angebot und Nachfrage zusammenfinden: 1,7 Millionen Wertpapiere werden in Stuttgart gehandelt
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STUTTGART - Wer an Börse denkt, dem kommen schnell Bilder von hektisch agierenden Händlern vor Augen, die sich in einer knappen Sprache unverständliche Codes zurufen. Diese Zeit des Präsenzhandels ist zwar längst passé. Die Regeln des Wertpapierhandels, der in Deutschland auf das Börsengesetz von 1896 zurückgeht, aber sind im Kern die gleichen geblieben – mit dem Unterschied, dass die Börsenhändler ihre Stimmen schonen können, weil der Zuruf heutzutage elektronisch erfolgt.
Wenn Börsenhändler Peter Smolny um 7.45 Uhr im Handelssaal der Börse Stuttgart seine Rechner hochfährt, flimmern ihm sechs Bildschirme mit einer verwirrenden Menge an Tabellen, Zahlenreihen, Charts und wichtigen News entgegen. Doch der 43-Jährige bleibt cool. Mit geschultem Blick erfasst der erfahrene Smolny, der seit 18 Jahren an der Börse arbeitet, die für ihn wichtigen Informationen, bevor um 8.00 Uhr die Börsenglocke den Handel einläutet. Sofort laufen erste Orders ein. „Oft sind es Hunderte allein in der ersten Handelsstunde“, sagt Smolny, der den Handel mit Aktien, Investmentfonds und Exchange Traded Products an der Börse Stuttgart leitet.
50 Börsenhändler
Wie er arbeiten insgesamt 50 Börsenhändler, die früher Kursmakler hießen und in Stuttgart QLPs (Quality-Liquidity-Provider) genannt werden, heute in Stuttgart und handeln insgesamt 1,7 Millionen Wertpapiere – von Aktien und Anleihen über Exchange Traded Funds (ETFs) bis hin zu verbrieften Derivaten wie Indexzertifikate oder Optionsscheine. Smolny und seine Kollegen sitzen an langen Tischreihen im Handelssaal der Börse Stuttgart, der wie ein Atrium von den vier Verwaltungsetagen des Gebäudes umrahmt wird.
Unter den jeweils sechs Bildschirmen, die vor ihnen stehen, gilt das Orderbuch als Herzstück des Handels. „Hier werden Angebot und Nachfrage gebündelt“, sagt Smolny. Dort landen sämtliche Kauf- und Verkaufsaufträge („Orders“) mit Stückzahl und Limitangaben für genau die Wertpapiere, deren Handel Smolny betreut. Der elektronische Eingang einer Order entspricht dem Zuruf, wie er früher auf dem Parkett erfolgt ist, als sich die Händler der Banken an der Präsenzbörse täglich für zwei oder drei Stunden getroffen hatten.
Nach wie vor können Privatanleger nicht direkt am Börsenhandel teilnehmen, sondern müssen dies über eine Bank erledigen, die schließlich auch für die Einlösung der abgeschlossenen Geschäfte geradestehen muss. Daher ist es unerlässlich, dass der Anleger ein Wertpapierdepot bei einer Bank eröffnet, in dem die Wertpapiere nach dem Kauf verwahrt werden können. Sobald dies geschehen ist, kann der Anleger im Rahmen seiner persönlichen Risikoneigung, deren Einordnung mit der Bank vorgenommen wird, Orders an der Börse platzieren. Das heißt, er kann per Kaufauftrag Wertpapiere erwerben und sie per Verkaufsauftrag wieder loswerden – am besten mit einem Kursgewinn.
Angenommen, der Privatanleger interessiert sich für die Aktie des Autozulieferers ElringKlinger AG in Dettingen an der Erms, dann findet er dazu auf den Börsenseiten eine sogenannte Taxierung, die einen Wert auf der Geld- und auf der Briefseite sowie eine handelbare Stückzahl zeigt. Die Angabe „11,32 Geld / 800 Stück“beschreibt die Nachfrage und bedeutet, dass einer oder mehrere andere Anleger, die immer anonym bleiben, bereit sind, 800 ElringKlinger-Aktien zu 11,32 Euro zu kaufen. Umgekehrt erfährt der Newcomer durch die Angabe „11,34 Brief / 469 Stück“, dass andere Anleger bis zu 469 Aktien zu diesem Stückpreis verkaufen würden. Diese Angaben werden Taxen genannt und geben eine starke Indikation dafür ab, wie der nächste Kurs sein wird. Deshalb empfiehlt es sich auch, hier die Börsenportale zu nutzen, die diese Angaben in Echtzeit verbreiten.
Entschließt sich nun der Anleger zum Kauf, gibt er die eigentliche Order über einen Online Broker oder seinen Wertpapierberater auf. Dabei kann der Kaufauftrag limitiert werden, das heißt, der Privatanleger begrenzt den Preis, den er bereit ist zu bezahlen – etwa im Falle von ElringKlinger auf 11,34 Euro. Denn insbesondere bei weniger stark gehandelten Papieren kann sich der Börsenpreis auch rasch ändern. Umgekehrt würde der Anleger einen Verkaufsauftrag mit einem Limit versehen, das dem Preis entspricht, den er mindestens für seine Wertpapiere erzielen möchte. Orders, die ohne Limit versehen sind, werden „bestens“bei Verkauf und „billigst“bei Kauf ausgeführt.
Eine Auktion wird ausgelöst
Kurz nachdem eine Order für beispielsweise 100 Stück ElringKlingerAktien mit einem Limit von 11,34 Euro losgeschickt wurde, landet sie im elektronischen Orderbuch des Börsenhändlers, der den Handel mit genau dieser Aktie betreut. Wie die Taxierung schon verraten hat, gibt es offenbar einen oder mehrere Verkäufer, die 469 Aktien zu genau dem Preis verkaufen wollen. In dem Augenblick wird im elektronischen Handelssystem der Börse Stuttgart eine Auktion ausgelöst, bei der alle Anleger gleichbehandelt werden. Es gilt also nicht das Prinzip „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“.
Die Börse kommt dann ihrer ureigensten Aufgabe nach. „Sie führt Käufer und Verkäufer zusammen“, erläutert Smolny. Es kommt schließlich ein Umsatz in Höhe von 100 Stück zustande, gleichzeitig entsteht ein Börsenpreis von 11,34 Euro, der sich in dem Kurschart des S-DaxWertes ElringKlinger wiederfinden wird. Dabei gilt stets das sogenannte Meistausführungsprinzip. Das heißt, der Kurs oder Börsenpreis wird dort festgelegt, wo der höchste Umsatz zustande kommt. Wäre also noch ein weiterer Anleger unterwegs, der zum Beispiel 50 ElringKlinger-Aktien „billigst“erwerben wollte, käme auch er zum Preis von 11,34 Euro zum Zug. Der Umsatz würde dann 150 Stück betragen. Die 100 ElringKlinger-Aktien werden dem Wertpapierdepot des Anlegers gutgeschrieben, Kurswert sowie Börsen- und Bankspesen seinem Girokonto belastet. Damit gilt die Order als ausgeführt – ein Prozess, der an der Börse Stuttgart im Jahr 7,7 Millionen Mal (2017) stattfindet.
Wenn Peter Smolny schließlich um 18.00 Uhr seine Rechner abschaltet, übernimmt ein Kollege den Handel seiner Wertpapiere. Bleibt die Börse in Stuttgart doch noch weitere vier Stunden geöffnet, damit die Anleger auf Entwicklungen in den USA reagieren können. Erst wenn die Wallstreet um 22.00 Uhr MEZ schließt, gehen auch in Stuttgart an der Börsenstraße die Lichter aus.