Konflikt um Pflegenotstand
Arbeitgeberverband fordert mehr ausländische Kräfte
BERLIN (dpa/sz) - Im Streit um die von der Bundesregierung und den Gewerkschaften geforderte tarifliche Bezahlung von Pflegefachkräften warnt nun der Arbeitgeberverband Pflege (AGVP) vor den Plänen. Der Verband, der nach eigenen Angaben die umsatzstärksten privaten Altenpflege-Unternehmen mit 40 000 Beschäftigten vertritt, warnte vor Kostensteigerungen.
Während etwa Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) den Beruf durch eine bessere Bezahlung attraktiver machen will, forderte der AGVP angesichts der Personalnot in der Pflege am Donnerstag eine Offensive für mehr ausländische Fachkräfte: In einem zweijährigen Pilotprojekt sollten vom Bund koordiniert bis zu 15 000 Mitarbeiter aus dem Ausland gewonnen werden. Wer binnen sechs Monaten als Fachkraft anerkannt sei und einen Arbeitsvertrag habe, müsse dann auch ein Bleiberecht erhalten.
●
●
BERLIN - Bei der Bezahlung von Altenpflegern und Altenpflegerinnen steuern private Unternehmen, Bundesregierung und Gewerkschaft Verdi auf einen Konflikt zu. Die Arbeitgeberverbände wenden sich gegen eine allgemeinverbindliche Vereinbarung, die die gesamte Branche erfasste. Heute gibt es in drei Vierteln der privaten Einrichtungen keine Haus- oder Verbandstarife.
„Wir brauchen nicht zwingend Tarifverträge“, sagte Friedhelm Fiedler, Vizechef des Arbeitgeberverbands Pflege (AGVP) am Donnerstag. Die Organisation wendet sich besonders gegen einen politisch festgesetzten, allgemeinverbindlichen Tarifvertrag. Setze die Bundesregierung eine solche Regelung durch, „werden wir eine Reihe von Prozessen bekommen“, warnte AGVP-Präsident Thomas Greiner.
Gegenwärtig fehlen in vielen Pflegeeinrichtungen Fachkräfte. Zahlreiche Altenpfleger beklagen ihre Überlastung. Ein Symptom der schlechten Situation ist die vielerorts schlechte Bezahlung der Pfleger. Das zu ändern hat sich die Bundesregierung vorgenommen. Im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD heißt es: „Wir wollen die Bezahlung in der Altenpflege nach Tarif stärken.“Dieser solle „flächendeckend zur Anwendung kommen“. Die Gewerkschaft Verdi verlangt nun, einen Tarifvertrag auf Basis des sogenannten Entsendegesetzes für alle Pflegeunternehmen vorzuschreiben.
Drei Viertel ohne Vereinbarungen
Gerade private Firmen der Branche weigern sich bislang, mit Beschäftigtenvertretungen und Gewerkschaften über die Bezahlung zu verhandeln. Für drei Viertel der Einrichtungen gibt es laut einer Studie des Instituts TNS Sozialforschung im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums keine entsprechenden Vereinbarungen. Wobei der private Bereich gut 40 Prozent aller knapp 14 000 stationären Einrichtungen umfasst. In den gemeinnützigen, kirchlichen und öffentlichen Häusern sieht es besser aus. Dort entlohnen 90 Prozent nach einem Hausoder Verbandstarif.
Die beiden Verbände der privaten Pflegefirmen machen nun Front gegen die Bundesregierung und Verdi. Den Arbeitgeberverband der Privaten Anbieter Sozialer Dienste (BPA Arbeitgeberverband) leitet Rainer Brüderle, ehemals Bundeswirt- schaftsminister der FDP. „Wir sehen die Versuche, allgemeinverbindliche Tarifverträge in der Pflege zu erzwingen, als schwerwiegenden Eingriff in die Tarifautonomie und wollen deshalb mit unserer Arbeitsvertragsrichtlinie (AVR) einen alternativen Weg aufzeigen“, erklärte er bereits kürzlich. Die AVR, die unter anderem Bezahlung und Urlaub regelt, denkt sich die Organisation selbst aus. Darin wird den Firmen empfohlen, wie sie die individuellen Arbeitsverträge mit den Arbeitnehmern gestalten sollen. Nach VerdiAngaben liegen die entsprechenden Gehälter teils um mehrere Hundert Euro unter dem Niveau des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst, der für kommunale Häuser gilt.
Der zweite Verband, der AGVP, begründete seine Ablehnung tariflicher Regelungen am Donnerstag, indem er auf die ohnehin steigenden Gehälter des Pflegepersonals verwies. „Wir haben einen Nachfragemarkt“, erklärte Verbandsvize Fiedler. Soll heißen: Die Unternehmen suchen Pfleger, bekommen aber zu wenige. Daher müssen die Firmen höhere Löhne bieten, um Personal zu gewinnen. Außerdem argumentiert der AGVP, dass das Pflegepersonal gar nicht so schlecht bezahlt werde. Während Auszubildende hierzulande durchschnittlich 830 Euro monatlich erhielten, böten die Betreuungseinrichtungen im ersten Lehrjahr fast 1100 Euro. Und die Vergütung von erfahrenen Altenpflegern läge teilweise über der von Bankkaufleuten und Mechatronikern.
Private Pflegefirmen fürchten zu stark steigende Personalkosten und Gängelung durch Gewerkschaft und Politik. Während Brüderle seine Verteidigung auf der Arbeitsvertragsrichtlinie aufbaut, bietet AGVP-Präsident Greiner an, über einen höheren Mindestlohn in der Pflegebranche zu verhandeln. Zudem sollen mehr ausländische Pfleger ins Land geholt und die Qualifizierung der Beschäftigten verbessert werden.
So herrscht derzeit eine politische Blockade. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wollen zwar einen Tarifvertrag mit höheren Gehältern für viele Arbeitnehmer, suchen aber einen Weg. Denn zurzeit gibt es nach Darstellung des Arbeitsministeriums keine Vereinbarung, die man für allgemeinverbindlich erklären könnte. Die Regelungen des öffentlichen Dienstes sowie der gemeinnützigen und kirchlichen Träger seien zu speziell.
Heil fordert die „beteiligten Akteure, darunter auch die Arbeitgeberseite, auf, die Strukturen für Tarifverträge zu schaffen“. Das heißt: Auch die privaten Verbände sollten sich unter anderem mit Verdi an einen Tisch setzen. Genau das lehnen die Arbeitgeber jedoch ab.