Eine Reise zwischen Ravioli und Maccaroni
Italien ohne Pasta ist nicht denkbar – Eine Tour von Südtirol bis zur Stiefelspitze zeigt kulinarische Feinheiten und Unterschiede
Spaghetti Bolognese – der deutsche Klassiker unter den Nudelgerichten – treibt einem Bologneser Tränen ins Auge. Niemals würde er eine runde glatte Nudel zu seinem „Ragù“wählen. Die Pasta der Wahl sind entweder Fettuccine oder Tagliatelle, flache lange Nudeln mit aufgerauter Oberflächenstruktur, um die Soße besser aufzunehmen. Die richtige Nudel zur Soße kann in Italien durchaus zur Wissenschaft ausarten und wird leidenschaftlich diskutiert. Was könnte schöner sein, als diese kulinarischen Feinheiten auf einer Reise von Nord- nach Süditalien zu erkunden?
Schlutzkrapfen in Südtirol
Die Spaghetti-Rallye startet in Südtirol mit einem Teller Schlutzkrapfen, wie dort die Ravioli genannt werden. Am besten schmecken sie in einem „Tris“, einem Dreierlei bestehend aus Spinatknödeln, Käsenocken und Schlutzkrapfen mit brauner Butter und Parmesan. Soll die Köchin nicht verärgert werden, bleibt das Messer neben dem Teller liegen. Nach einem Verdauungsspaziergang durch Brixen und einem Einkaufsbummel im mondäneren Bozen geht’s weiter Richtung Süden.
Bigoli in Venetien
Auf der gewundenen
A 22 beginnt sich die Landschaft langsam zu verändern. Aus den Bergen werden Hügel und spätestens nach Verona verstehen Reisende, warum die Po-Ebene ihren Namen trägt. In der Festspielstadt Verona können sich die für Venetien typischen Bigoli con Salsa, lange, dickere Nudeln in einer Soße aus Olivenöl und Sardellen, gegen die regionale Konkurrenz Risotto und Polenta behaupten. Und wer weiß, ob nicht auch Romeo und Julia bei diesem einfachen, aber köstlichen Pastagericht und einem Glas Prosecco aus der Region ihre Liebe zueinander entdeckt haben?
Agnolini in der Lombardei
Wer Lust hat, die Pastaspezialitäten der Lombardei zu probieren, der macht im von vier Seen eingerahmten Mantua Halt und genießt auf der Piazza Erbe die Agnolini in Brodo, goldgelbe Teigtaschen in einer kräftigen Fleischsuppe. Und damit die Nudeln nicht auf die Hüften wandern, wird danach der Palazzo Ducale mit seinen Mantegnafresken und die Basilika Sant’Andrea besichtigt.
Fettuccine in der Emilia-Romagna
Weiter geht’s in die Stadt, die die weltweit wohl berühmteste Nudelsoße hervorgebracht hat, nach Bologna. Für Studenten und Feinschmecker ist Bologna schon längst mehr als ein Verkehrsknotenpunkt auf der Autobahn. Die Fette, die Gelehrte und die Rote – la grassa, la dotta, la rossa – wird die gemütliche Stadt in der Emilia-Romagna genannt. Der Kenner wird inzwischen natürlich Fettuccine al ragù bestellen. Einen wahren Glaubenskrieg gibt es in der Hauptstadt der Mortadella übrigens darüber, ob Tomaten ins Ragù gehören oder nicht. Zur Sicherheit ist das Originalrezept seit 1982 bei der Accademia Italiana della Cucina hinterlegt. Neptunbrunnen und Geschlechtertürme müssen sich schon anstrengen, um über Ragù, Mortadella und Co. nicht in Vergessenheit zu geraten.
Pici in der Toskana
Durch den Apennin geht die Pastareise weiter in die sanften Hügel der Toskana. Angekommen in Florenz muss der Reisende sich fragen, ob der schöne David auf der Piazza della Signoria viel Sport gemacht hat oder vielleicht kein Fan der toskanischen Pastaspezialitäten war? Die länglichen, handgerollten Pici und die flachen breiten Pappardelle werden besonders gerne al Cinghiale, mit Wildschweinsoße, genossen oder außerhalb der Jagdsaison wieder einmal al Ragù, mit Fleischsoße. Zum Runterspülen gibt’s einen Chianti Classico oder Brunello di Montalcino aus der Region. Wer vorher Crostini, die köstlichen gerösteten Brotscheiben mit Oliven- oder Leberaufstrich, gekostet hat, wird sich zu Recht fragen, wie um Himmels Willen noch ein Hauptgang im Bauch Platz haben soll.
Ciriole in Umbrien
Reisende, die es aus der kulinarisch verlockenden Toskana zurück auf die Autostrada del Sole, die Sonnenautobahn, geschafft haben, müssen auf der folgenden Strecke mit nicht minder großen Versuchungen rechnen. Kurz vor der italienischen Hauptstadt erwartet Umbrien, die grüne Seele Italiens, arglose Besucher. Und zwar mit ihrer Spezialität, den Ciriole oder auch Strangozzi: langen, etwas dickeren, leicht eckigen Nudeln, die perfekt zu einer würzigen Tomatensoße passen. Das malerisch auf einem Berg gelegene Orvieto bietet sich als Zwischenstopp auf dem Weg nach Rom an. Neben Pasta und süffigem Orvieto Classico lohnt auch der besonders eindrucksvolle und fast schon überdimensionierte Dom zu Orvieto sowie der Brunnen von San Patrizio einen Besuch.
Bucatini, Tonarelli und Co. im Latium
Jetzt aber auf zu Italiens Hauptstadt. Rom lockt nicht nur mit Kolosseum und Trevibrunnen, sondern ganz besonders mit seinen Pastagerichten. Spaghetti alla Carbonara, Tonarelli Cacio e Pepe oder die unvergleichlichen Bucatini all’amatriciana machen die Wahl beinahe zur Qual. Wie es einem da noch gelingen soll, der Kultur gerecht zu werden, bleibt ein Rätsel. Zumal der leicht säuerliche Weißwein aus Frascati sehr leicht für das gemütliche Dolcefarniente, das süße Nichtstun, sorgt.
Spaghetti in Neapel
Wer auf der weiteren Reise mit einer kleinen Verschnaufpause gerechnet hat, hat die Rechnung ohne Neapel, die Hochburg der Nudel Kampaniens gemacht. Die wuchtigen Paccheri machen, ebenso wie ihre schmalen Nudelschwestern, die Spaghetti alle Vongole Lust auf ausgedehnte Aufenthalte in einer der urigen Trattorien der quirligen Regionalhauptstadt am Golf. Ernst zu nehmende Konkurrenz für Gaumen und Taille bekommt die Pasta in Neapel von der legendären Pizza Napoletana. Die Wasserbüffel mit ihrer Mozzarella di Bufala tun ihr Übriges dazu und so werden Besucher automatisch in den süditalienischen Modus verfallen, wenig bis nichts zu frühstücken, um den kulinarischen Herausforderungen des Tages Herr zu werden.
Bucce di Mandorle in der Basilicata
Die Reise auf den Spuren der Pasta neigt sich dem Ende zu. Nun heißt es Schwung nehmen für den Endspurt, denn der hat es noch mal in sich. Zum Beispiel bei einem Stopp in Potenza, der Hauptstadt der Basilicata. Touristisch wenig erschlossen, bietet die Region noch viel authentisches Italien. Landwirtschaftlich geprägte Dörfer, fruchtbare Weiden und prächtige Olivenhaine sind der Grund, warum die Basilicata auch „der heimliche Garten Italiens“genannt wird. Die heimische Nudel heißt Bucce di Mandorle, die nach ihrer speziellen Mandelform benannt sind. Eine Soße aus Schweinefleisch und Tomaten mit Pecorino kann sich besonders gut in die Öffnung der leicht gebogenen Nudel schmiegen.
Fileja in Kalabrien
In Reggio Calabria an der südlichen Stiefelspitze geht die Spaghetti-Rallye mit einem prächtigen Nudelgelage zu Ende. Nur durch die Meerenge von Messina von Sizilien getrennt, ist die kalabresische Küche byzantinisch, arabisch und spanisch beeinflusst. Und so bedeutet „alla calabrese“in der italienischen Küche meist „Achtung, scharf!“. Peperoncini geben auch den Fileja alla calabrese ihre feine Schärfe. Die Fileja sind meist auf Zinkdraht gedrehte Maccaroni und werden mit einer Soße aus Ziegen-, Rind- oder Schweinefleisch serviert – und natürlich mit Peperoncino. Darüber kommt noch ein wenig geriebene Ricotta Salata, herrlich!
Mit einem Glas bernsteinfarbenem Greco di Bianco geht die kulinarische Pasta-Entdeckungsreise für Gaumen und Herz von Nord- nach Süditalien zu Ende. (srt)