Schiller und Goethe mochten die Juden nicht
Die großen Dichter verbreiteten antijüdische Ressentiments und wurden von den Juden dennoch verehrt
D● ie deutschen Klassiker waren keine Freunde der Juden. In der deutschen Literatur lassen sich viele antijüdische Ressentiments finden. Eine Spurensuche.
In Goethes Schwank „Das Jahrmarktsfest zu Plundersweilern“von 1773 heißt es: „Du kennst das Volk, das man die Juden nennt. (...) Sie haben einen Glauben, der sie berechtigt, die Fremden zu berauben. (...) Der Jude liebt das Geld und fürchtet die Gefahr. Er weiss mit leichter Müh’ und ohne viel zu sagen, durch Handel und durch Zins Geld aus dem Land zu tragen.“Im „Wilhelm Meister“findet sich aber auch das von Goethe in vielen Formen wiederholte Wort von der Festigkeit der Juden: „Es ist das beharrlichste Volk der Erde, es ist, es war, es wird sein, um den Namen Jehova durch die Zeiten zu verherrlichen.“
Die Juden verehrten Goethe wie keinen anderen deutschen Dichter. Für sie war der „Goethekult“geradezu eine nationale Pflichterfüllung, vielleicht auch eine Vorwegnahme ihrer Sehnsucht nach Emanzipation. In seinen jungen Jahren in Frankfurt war Goethes Blick auf die Juden angesichts der „sehr befremdlichen und unverständlichen Erscheinungen“des Frankfurter Ghettos noch reserviert bis ablehnend. Später in Weimar unterhielt er zahlreiche Kontakte zu Juden und konvertierten Juden. Dass sich Deutschlands Nationaldichter aber jemals für gleiche Rechte der Juden als emanzipierte Bürger eingesetzt hätte, ist nicht bekannt.
Einerseits – andererseits: Goethe bewunderte den sephardischen Philosophen Baruch de Spinoza und interessierte sich für die geistreiche Salondame Rachel Levin, die spätere Rachel Varnhagen, die wie Moses Mendelssohn, den sie den „Platon der Deutschen“nannten, aus kleinsten Verhältnissen stammte. Beide wollten die Gleichberechtigung, der aber ihre „falsche Geburt“im Wege stand. Im Salon der Varnhagen verkehrten Dichter wie Jean Paul und Friedrich Schlegel, Adelbert von Chamisso und Clemens von Brentano, Christen und Juden. Moses Mendelssohn, einer der bedeutendsten Denker dieser Epoche, war als Autorität höchsten Ranges anerkannt. Und doch wurde dieser jüdische Philosoph gesellschaftlich nicht wahrgenommen. Er blieb ein bestaunter Außenseiter, exotisch.
Von Arnims unrühmliche Rede
Der nationalkonservative Romantiker Achim von Arnim (1781-1831) gehörte zu den Mitbegründern der „Deutschen Tischgesellschaft“in Berlin, zu der ab 1811 nur noch Männer zugelassen wurden, die „in christlicher Religion“geboren waren. Von Von Arnim stammt die berüchtigte Rede „Ueber die Kennzeichen des Judentums“, eine zotenreiche Satire im Biertischjargon. Der Geist der Aufklärung war längst perdue. Judenfeindliche Versschmierereien, aufgeladen mit antijüdischen Ressentiments waren jetzt en vogue. Leider auch im Repertoire eines Wilhelm Busch, der seinen „Schmulchen Schievelbeiner“so beschreibt: „Kurz die Hose,lang der Rock / Krumm die Nase und der Stock, / Augen schwarz und Seele grau / Hut nach hinten, Miene schlau.“
Der große jüdische Gelehrte Gershom Scholem sah in unserer Zeit den häufig beschworenen „deutschjüdischen Dialog“als „Mythos“. 1964 formulierte er: „Schiller war der sichtbarste, eindrucksvollste und tönernste Anlass zu den idealistischen Selbsttäuschungen, zu denen die Beziehung der Juden zu den Deutschen geführt hat.“In der Tat stand Schiller – ähnlich wie Goethe – aber im deutlichen Unterschied zu Herder und Lessing, dem Judentum gleichgültig bis negativ gegenüber. Für seine jüdischen Leser jedenfalls hatte Schiller nicht viel übrig. In seiner Jenaer Vorlesung vom Sommer 1790 – „Die Sendung Mosis“– plädierte er zwar für eine gerechte Beurteilung der „Hebräer“. Dennoch weist er den Juden „Unwürdigkeit und Verworfenheit“zu, über der man aber keineswegs das „erhabene Verdienst ihres Gesetzgebers“vergessen dürfe.
Die Juden seiner Zeit hat dieses herbe Urteil indes kaum irritiert. Ihr Kulturbewusstsein wurde im Wesentlichen durch die Ideenwelt der Weimarer Klassiker geprägt. Und vor allem Schiller galt ihnen als Repräsentant liberaler, emanzipatorischer Ideen, sein Werk als Inbegriff deutscher Dichtung. Sie haben ihn verehrt, übersetzt, gelesen, von ihm erzählt. Sie glaubten, über die Brücke der Kultur und unter den aufklärerischen Idealen von Vernunft, Bildung und Toleranz gleichberechtigt in die Gesellschaft der nichtjüdischen Deutschen aufgenommen zu werden. Ein fataler Trugschluss.
Betriebsgeheimnis einer Religion
Schillers Vorlesung „Die Sendung Mosis“beginnt mit einer Aussage, die später als der Inbegriff eines antisemitischen Slogans verstanden wurde: Die Juden bildeten einen „Staat im Staat“: „Die Ebräer kamen, wie bekannt ist, als eine einzige NomadenFamilie, die nicht über 70 Seelen begriff, nach Egypten, und wurden erst in Egypten zum Volk.“Und weiter: „Eine solche abgesonderte Menschenmenge im Herzen des Reichs, durch ihre nomadische Lebensart müßig, die unter sich sehr genau zusammenhielt, mit dem Staat aber gar kein Interesse gemein hatte, konnte bei einem feindlichen Einfall gefährlich werden, und leicht in Versuchung geraten, die Schwäche des Staats, deren müßige Zuschauerin sie war, zu benutzen. Die Staatsklugheit riet also, sie scharf zu bewachen, zu beschäftigen, und auf Verminderung ihrer Anzahl zu denken.“
Sowohl Schiller als auch sein Jenaer Amtsbruder Carl Leonhard Reinhold betonen beide die „Geistlosigkeit“und die desolate Lage der Juden. Aus eigener Kraft – so die Schelte weiter – seien sie nicht fähig gewesen, eine selbstständige Nation mit einer Staatsverfassung zu bilden. Die Folge: Moses musste ihnen aus der Klemme helfen und ihnen eine – von den Ägyptern – entliehene Religion geben. Nur der „Glaube an übernatürliche Kräfte“(Schiller) habe bewirkt, dass aus der Horde von Sklaven wieder unabhängige Menschen wurden.
„Es sollte also“, so der SchillerExeget Rüdiger Safranski, „das Betriebsgeheimnis einer Religion, die auf krummen Wegen Karriere gemacht hat, aufgedeckt werden.“Dass die Hebräer den Monotheismus überhaupt nicht begriffen, sondern ihn mit Aberglauben und sonstigen Torheiten vermischt hätten, weil sie einfach nicht im Stande gewesen seien, ihre Religion vernünftig zu erfassen – diese Erkenntnis wird von Schiller gewissermaßen im Ton eines milden Tadels vorgetragen.
Der Rabbiner und Historiker Meyer Kayserling erklärte zum 100. Geburtstag Schillers: „Schiller in seinen schmerzlichen Erregungen, in seinen Leiden und Kämpfen, in seinem Sterben und Erlöschen wurde Fleisch von unserem Fleisch, Blut von unserem Blute.“Diese Idealisierung des Klassikers war nicht untypisch für die Schiller-Rezeption im deutschen Judentum, auch wenn orthodoxe rabbinische Lehrer seine Einstellung zu den Juden nicht akzeptierten. Für viele jüdische Leser wurden seine Werke dadurch nur noch interessanter. So berichtet Kayserling, dass Schiller „unter den Kopfkissen der jüdischen Jungfrauen“lag und „die jüdischen Jünglinge diesen Lieblingsdichter den spähenden Blicken ihrer deutsche Bildung verhöhnenden Lehrer zu verbergen wussten“. Auch wurde der deutsche Freiheitsdichter zum heimlichen Held vieler Ghettogeschichten in der deutschsprachigen jüdischen Literatur. Auf „ihren Schiller“ließen Deutschlands Juden nichts kommen.
Drei Jahre nach dem öffentlichen Erscheinen von Schillers „Moses“Text wird auch der Philosoph Johann Gottlieb Fichte den Juden vorwerfen, sie bildeten einen Staat im Staat. Er wird daraufhin als „Eisenmenger der Zweite“tituliert, also als schlimmster Judenfeind. „Die Juden“, so warnte Gershom Scholem, „waren immer große Lauscher, eine edle Erbschaft, die sie vom Berge Sinai mitgebracht haben. Sie haben auf vielerlei Stimmen gelauscht und man kann nicht sagen, dass es ihnen immer gut bekommen ist.“
Missbrauch durch die Nazis
Die deutsch-jüdische Schillerverehrung hat die Shoa überdauert. Noch in den Todeslagern, so kann man in etlichen Selbstzeugnissen Überlebender lesen, haben deutsche Juden Texten von Schiller und Goethe gelauscht, auch im Exil. Der Missbrauch beider durch die Nationalsozialisten hat daran nichts geändert. „Schiller und Goethe sind die ersten Nationalsozialisten gewesen,“tönte 1934 der Tagungsleiter der Goethegesellschaft in Weimar. Goebbels’ Propagandaund Kulturbetrieb versuchte, einen „dorisch-germanisch-friderizianischen“Schiller auf die Bühne zu bringen, was ins Exil geflohene Autoren als „literarische Leichenschändung“bezeichneten. Heinrich Mann empörte sich in der „Neuen Weltbühne“vom 7. März 1935: „Welch eine makabre Ohnmacht, als sie Schiller zu feiern versuchten.“