Antworten von Löw, dritter Teil
Bundestrainer präsentiert Öffentlichkeit heute seine WM-Analyse – und den Kader
MÜNCHEN (dpa/SID/falx) - Endlich: die Zeit der Debatten und Schuldzuweisungen könnte nun wirklich vorbei sein. Die Blamage bei der WM, die Özil-Gündogan-Erdogan-Affäre, das Entrücken der Nationalmannschaft von der Basis, das mindestens unglückliche Krisenmanagement von DFB-Präsident Reinhard Grindel und die Aufregung um befremdlich wirkende Gruppenbildung im Spielerkreis – all das ist nicht vorbei und muss weiter aufgeklärt werden. Aber es könnte ab heute vielleicht wieder dem Wesentlichen Platz machen.
Denn Joachim Löw spricht. Endlich. Zwei Monate nach dem historischen WM-Desaster von Russland präsentiert der durch das Vorrunden-Aus ramponierte Bundestrainer der Öffentlichkeit seine Analyse – und seinen neuen Spielerkader auf dem Weg zur Europameisterschaft 2020. Ob sich die Nationalspieler auch dann noch mindestens gewöhnungsbedürftige Spitznamen geben oder ein harmonischer Kartoffelsalat freundschaftlich hin und her gereicht wird, ist irrelevant, solange der Erfolg stimmt.
Denn den haben auch „Kanaken“und „Kartoffeln“schon gemeinsam errungen. Weltmeister Lukas Podolski und Nationalspieler Ilkay Gündogan relativierten die jüngste These, dass durch die DFB-Elf ein tiefer kultureller Riss gehen könnte, weil die Spieler sich eben als „Kartoffeln“und „Kanaken“bezeichnen: „Deutschland ist ein Multi-KultiLand, und wie auf der Straße werden auch in der Nationalmannschaft ein paar lockere Sprüche untereinander gemacht. Ausdrücke wie ,Kanaken’ und ,Kartoffeln’ fielen auch schon bei der EM 2016. Jeder von uns weiß dabei, dass es als Flachs gemeint ist“, sagte Podolski der „Bild“.
Gündogan bestätigte diese Darstellung in einem Interview mit den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Natürlich gab es hier oder da mal einige Witze über gewisse Instagram-Postings. Das ist aber doch völlig normal, dass man sich hier oder da mal ein bisschen im positiven Sinne aufzieht“, sagte er: „Das war aber jederzeit immer nur als Spaß zu verstehen und hatte definitiv nichts mit Rassismus zu tun!“
Und Löw hat durchaus ja auch andere Sorgen. Die Fans erwarten klare Antworten und ein schlüssiges Konzept, wie der Weg zurück in die Weltspitze gelingen soll. „Es ist wichtig, dass die Fans hinter unserer Mannschaft stehen. Dazu muss sie ein anderes Bild auf dem Platz abgeben, aber sicher auch das ein oder andere außerhalb des Platzes verändern“, sagte DFB-Präsident Reinhard Grindel und erneuerte die Forderung: „Ein Weiter-so wird es nicht geben.“
Allerdings deutet nichts auf radikale Veränderungen in und rund um die Vorzeigemannschaft des DFB hin. Dabei hatte Löw genau dies selbst unmittelbar nach dem Ausscheiden angekündigt.
Mit seinem ersten Spielerkader für den Auftakt in der neuen Nationenliga am 6. September gegen Weltmeister Frankreich in München und den Test drei Tage später gegen Peru könnte Löw ein Startsignal setzen.
Doch freiwillig haben sich von den 23 Spielern, die das WM-Desaster verantworteten, nur Mesut Özil und Oldie Mario Gomez von der Länderspielbühne verabschiedet. Der nach der Kritik an den umstrittenen Erdogan-Fotos heftig gezeichnete Ilkay Gündogan will weiter das DFB-Trikot tragen. „Mir ist es wichtig, mit 27 Jahren nicht aufgrund einer schwierigen Phase, die ich persönlich durchlaufen habe, alles hinzuwerfen“, sagte Gündogan.
Gerade „nach der Geschichte im Sommer“sei man „extrem heiß“, bemerkte der Münchner Thomas Müller: „Wir haben den Tatendrang.“Nur Phrasen und Worthülsen? Zumindest sind neue Führungskräfte mit der Ausstrahlung, alles für Deutschland zu geben, gesucht und gefragt. Löw muss zudem Platz machen für aufstrebende Jungprofis wie Kai Havertz (Leverkusen), Thilo Kehrer (Paris) oder Philipp Max (Augsburg), die unter anderen als Kandidaten gehandelt werden. Heißt: Verdiente Ex-Weltmeister wie Sami Khedira könnte Löws Verbannung treffen. Den Jungstars Leroy Sané (Manchester City) und Jonathan Tah (Leverkusen) sowie dem spätberufenen Nils Petersen (Freiburg) hatte der Bundestrainer bei der Aussortierung kurz vor der WM angekündigt, ihnen im September eine neue Chance geben zu wollen.
Hinter verschlossenen Türen hat Löw Bundesliga-Offiziellen und DFB-Präsidiumsmitgliedern seine WM-Analyse bereits vorgestellt. Fredi Bobic wies anschließend auf einen seichten Wandel denn auf eine Revolution hin. „Man muss nicht alles neu machen, alles verändern“, sagte der Sportvorstand von Eintracht Frankfurt. Löw muss neben Selbstkritik in München auch einen Stimmungsumschwung vermitteln. Den Anfang könnte er mit der Kadernominierung heute machen.
„Mir ist es wichtig, mit 27 Jahren nicht wegen einer schwierigen Phase, die ich persönlich durchlaufen habe, alles hinzuwerfen.“Ilkay Gündogan