Joop ist dann mal weg
Zu Fuß 3000 Kilometer durch Europa – Ein 85-jähriger Niederländer hat seine 13. Pilgertour auf dem Jakobsweg absolviert
Die Kleinstadt Oisterwijk liegt gerade mal zehn Kilometer entfernt von Eindhoven im Süden der Niederlande – bis Marseille oder Genua am Mittelmeer sind es von dort circa 1150 Kilometer. Für Johann van der Pas, den Freunde nur „Joop“nennen, ist das keine Entfernung. Fast genauso weit ist es für ihn nämlich von seiner Heimatstadt bis an den Fuß der französischen Pyrenäen, dort, wo viele Pilger ihre Wanderung auf dem Jakobsweg beginnen. Jedes Jahr läuft der 85-jährige den „Camino“– zu Fuß, in drei Monaten 3000 Kilometer durch Europa. Start ist für ihn jedes Mal in Oisterwijk.
Vermisst von der Familie
„Wir sehen uns dann nächstes Jahr im Mai“, sagt Johann gut gelaunt am Telefon, bei einem Gespräch Ende August. Er plant schon seine 14. Pilgertour. Dabei hatte es in diesem Jahr ernsthafte Sorgen um ihn gegeben. Die Tochter schaltete im Juni sogar eine Suchmeldung in lokalen Medien. Mehr als zehn Tage lang hatte sie nichts mehr von ihrem Vater gehört, der wie immer alleine unterwegs war. „Familie sucht den vermissten Oisterwijker Joop van der Pas“, stand da zu lesen. Und: Joop sei „bekennender Sportsmann“. Es ist nicht die einzige Meldung, die im Internet zu finden ist über den drahtigen Niederländer, der vorigen August 85 Jahre alt geworden ist.
„Ein Läufer in Herz und Seele“, wurde ein Artikel in einem lokalen Oisterwijker Sport-Blog schon mal überschrieben – das war vor fünf Jahren, anlässlich des 80. Geburtstags: Bemerkenswerte 76-mal sei er den Marathon schon gelaufen, wurde dazu berichtet. In der Regel im hohen Alter noch unter vier Stunden. Neues vom „Sporthelden Joop“vermeldet auch ein Youtube-Clip.
Die Sorge um den Vermissten im Frühsommer, als sich dieser gerade auf dem portugiesischen Jakobsweg zwischen Lissabon und Nordspanien befand, löste sich glücklicherweise schnell in Wohlgefallen auf. Johann van der Pas hat zwar stets ein uraltes Handy bei sich, das er abends einschaltet – um der Familie den aktuellen Standort mitzuteilen, und die Nachricht, dass es ihm „gut geht“. Dieses Handy konnte er in der Schlussphase auf seinem diesjährigen Jakobsweg aber nicht mehr nutzen. „Ich weiß gar nicht, was über mich im Internet steht, ich habe keines“, sagt er Wochen später lachend – Familie und Enkel wissen wohl längst um seine Unbekümmertheit.
„Was ich erlebt habe auf dem Camino, das hat noch kein anderer erlebt“, beschreibt Johann seine abenteuerlich anmutenden Touren quer durch Europa. Mit 62 Jahren hat er den Jakobsweg das erste Mal absolviert, vor 23 Jahren – 2018 war sein 13. Lauf. Der zuletzt von der niederländischen Jakobsgesellschaft ausgestellte Pilgerausweis trägt die Nummer 5687. Über Leuven und Nivelles in Belgien, nahe den Schlachtfeldern von Waterloo, über Reims und vorbei
an der Seine führte ihn sein Weg ins französische Zentralmassiv bei Limoges. Dabei zog es ihn auch dieses Jahr wieder zuerst zu dem Wallfahrtsort Lourdes, bevor es über die Bergkette der Pyrenäen nach Spanien weiterging. 800 Kilometer sind es von da an noch auf dem „Camino Francés“, dem Hauptweg für viele Jakobspilger, bis Santiago de Compostela. Von dort zog der weißhaarige Niederländer auf Portugals Wegen weiter bis Fatima – und wieder zurück nach Santiago. Zweieinhalb Monate war er diesen Sommer unterwegs.
Warum er das macht? „Schöne Frage“, sagt er und lacht. „I do it, I like it“, sagt Johann, der sich mit dem deutschen Gegenüber wechselweise in gebrochenem Deutsch und gebrochenem Englisch unterhält. „Ich mache es, ich liebe es“, es sei jedes Mal von neuem „ein großes Abenteuer.“Und: Er „müsse doch etwas machen als Rentner“, wolle zu Lebzeiten „noch gucken, was ich leisten kann“. Bei seinem Lauf durch die verschiedenen europäischen Länder zieht er immer einen kleinen Wagen hinter sich her. Das sei jedes Jahr ein neues Modell, „selbst konstruiert“.
Johann ist handwerklich begabt. In jungen Jahren lernte er Elektriker, arbeitete auch mal als Schweißer in Ludwigshafen. Aus dieser Zeit stammten auch seine Deutschkenntnisse, sagt er. Rund 30 Jahre leitete Johann van der Pas jedoch ein Sportstudio in seiner Heimat in der niederländischen Provinz Nordbrabant, das heute eine seiner Töchter weiterführt. Judo, Fitness, Boxen, Taekwondo: Alles habe er angeboten und selbst praktiziert.
Wegen seines Wägelchens, das er auf den Wanderrouten durch Europa stets hinter sich herzieht, muss er häufig an Hauptverkehrsstraßen entlang laufen. Auf den meist geschotterten Trassen des ausgewiesenen Jakobswegs, quasi über Stock und Stein, wäre es sonst oft beschwerlich. Die Wanderung an den Hauptverkehrswegen erscheint nicht ganz ungefährlich. Die „Lastwagen sind kein Problem“versichert der einstige Sportlehrer, die Fahrer seien vorsichtig. Schwieriger sei es mit spanischen Autofahrern, die „schnell ungeduldig hupen“. Passiert sei ihm aber noch nie etwas, versichert er. Bislang jedenfalls. Den selbst gefertigten Wagen lässt er jedes Mal in Santiago zurück – bevor er in den Flieger steigt, der ihn zurückbringt in die niederländische Heimat.
Clochard mit Pilgerkreuz
Auf dem Camino im Norden Spaniens werde er auch „oft zum Essen eingeladen“. Die Leute glaubten offenbar, „der alte Mann sei bedürftig“. Auch dürfe er manches Mal umsonst übernachten. Mit seinen bunten Turnschuhen und dem Wagen, den er hinter sich herzieht, ist er auf jeden Fall ein Blickfang für andere Pilger. „Ich fühle mich wie ein Clochard“, scherze er zuweilen mit seinen drei Töchtern. Er wolle auch sterben wie ein Clochard, sagt er: „Irgendwo unterwegs, nicht zu Hause im Bett“. Die Frage, ob er den Jakobsweg aus religiösen Gründen gehe, beantwortet er zögerlich. „Ja, ich bin katholisch“, sagt Johann – und da kommt wieder sein schelmisches Lachen durch: „Aber nicht so sehr wie meine Frau“. Die könne ärgerlich werden, wenn er sich auf Fotos ohne das kleine Kreuz zeige, das er um den Hals hängen hat.
Wie oft er den „Camino“noch gehen will, weiß er nicht. Dass er inzwischen auch Pausen einlege und nicht mehr 40 oder 50 Kilometer am Tag laufe wie in früheren Jahren, räumt er ein. Das hat auch mit dem zunehmenden Andrang auf dem Pilgerweg zu tun. Ihm sei wichtig, „spätestens um die Mittagszeit ein Bett zu haben“. Es könne sonst passieren, dass es nachmittags um 16 oder 17 Uhr heiße: „Sorry, alles belegt“.
Schon jetzt fest eingeplant ist der 14. Jakobsweg des „Oisterwijker Sportsmanns“Johann van der Pas – bei dem er im Mai erstmals über Rom laufen will. Da kommen dann noch einmal einige Hundert Kilometer zu seiner Standard-Route dazu.
Was ich erlebt habe auf dem Camino, das hat noch kein anderer erlebt. Joop van der Pas hat viele Erfahrungen auf dem Jakobsweg gesammelt