Hunderte Tote bei Tsunami-Katastrophe
Nach Erdeben und Tsunami könnte Zahl der Opfer auch in die Tausende gehen – Kritik am Warnsystem
JAKARTA (dpa) - Bei der TsunamiKatastrophe in Indonesien sind vermutlich mehr als tausend Menschen ums Leben gekommen. Die Behörden bezifferten die Zahl der Todesopfer auf der Insel Sulawesi am Sonntag auf mindestens 832. Allerdings werden noch sehr viele Menschen vermisst.
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PALU (dpa) - Auf dem Parkdeck der Grand Mall, des großen Einkaufszentrums von Palu, oberhalb des Strands, fühlen sich die Leute anfangs noch sicher. Einige filmen mit dem Smartphone hinaus aufs Meer. Zu sehen ist, wie eine mächtige Welle aufs Land zurollt. Langsam zwar, aber mit großer Gewalt. Als sie auf die Küste trifft, ist es mit dem Gefühl der Sicherheit vorbei. Das Bild verwackelt. Eine Frau ruft: „Gott, steh mir bei.“Dann ist alles schwarz.
Das war der Moment, in dem am Freitagabend nach einer Serie von Erdbeben ein Tsunami auf die Westküste der indonesischen Insel Sulawesi traf. Die vorläufige Bilanz, allein aus Palu, einer Stadt mit etwa 350 000 Einwohnern: mindestens 821 Tote und mehr als 540 Schwerverletzte. In den Ruinen der Häuser und im Schlamm werden noch Dutzende vermisst, auch fünf Ausländer. Niemand glaubt, dass es bei den Opferzahlen bleibt.
Immer wieder Nachbeben
Ähnlich sieht es vermutlich an vielen anderen Orten entlang der Westküste von Indonesiens viertgrößter Insel aus. Weil die Beben die Straßen aufgerissen haben, kommt kaum jemand durch. Übers Wochenende gab es auch immer wieder Nachbeben. Befürchtet wird, dass die Zahl der Toten letztlich in die Tausende geht. Alles in allem sind etwa 300 Kilometer Küste betroffen, mit mehr als 1,5 Millionen Menschen.
Viele dort leben noch von der Fischerei, in Donggala zum Beispiel, einer Gemeinde weiter oben im Norden, etwa 20 Kilometer von der Stelle, wo das schlimmste Beben sein Zentrum hatte. Ausländische Touristen sind dort kaum unterwegs. Nach Angaben aus dem Auswärtigen Amt gibt es bislang keine Hinweise, dass Deutsche betroffen sind.
Die Zwischenbilanzen gibt regelmäßig der Sprecher von Indonesiens Katastrophenschutzbehörde, Sutopo Nugroho, bekannt. Bislang sagt er stets noch einen Satz dazu: „Wir erwarten, dass die Zahlen noch steigen.“In dem Riesenland aus 17 000 Inseln, die alle auf dem Pazifischen Feuerring liegen, der geologisch aktivsten Zone der Erde, haben sie mit solchen Sachen Erfahrung. Hier bebt die Erde immer wieder. Erst kürzlich starben auf Lombok, der Nachbarinsel von Bali, mehr als 500 Menschen. Auch Vulkanausbrüche sind keine Seltenheit.
Beisetzungen in Massengräbern
Und alle erinnern sich jetzt natürlich auch wieder an den verheerenden Tsunami an Weihnachten 2004. Von allen Ländern in der Region hatte Indonesien damals die meisten Toten zu beklagen: mehr als 160 000. Seither sind die Leute besser vorbereitet. Wissen, dass sie landeinwärts flüchten sollen, auf höher gelegene Gebäude oder Straßen. Nicht allen hat das jetzt geholfen. Am Sonntag begannen sie damit, die Toten in Massengräbern beizusetzen. Bevor das Meer wieder über Land hereinbrach, hatte auf Sulawesi, mehrmals die Erde gebebt. Am Abend, als es schon dunkel wurde, gegen 18 Uhr Ortszeit, kam dann das schlimmste Beben: Stärke 7,4. Die dadurch ausgelösten Wellen waren bis zu sechs Meter hoch. Eine der Handy-Aufnahmen, die jetzt übers Internet um die Welt gingen, ist von einem Mann draußen im Meer, auf einem Boot. Er sagt: „Betet für mich, dass ich überlebe.“Nach allem, was man weiß, hat er es geschafft.
Besonders schlimm hat es Palu getroffen: die größte Stadt an der Westküste, in einer engen Bucht gelegen, was den Tsunami wohl noch schlimmer gemacht hat. Auf den Videos ist zu sehen, wie die Wassermassen ganze Häuser mit sich reißen und Menschen, Autos, Mopeds, Bäume dazu. Auch die große Moschee mit ihrer grünen Kuppel, wo sich die Gläubigen gerade zum Freitagsgebet versammelten, ist schwer beschädigt. Und die Grand Mall, auf deren Parkdeck die Leute die herannahende Welle filmten.
Aus den Trümmern des Einkaufszentrums sind auch am Sonntag noch Rufe zu hören. Vermutet wird, dass noch mehr als ein Dutzend Menschen eingeschlossen ist. „Im dritten Stock gibt es einen kleinen Durchgang. Wir geben alles. Aber wir kriegen die Leute nicht raus“, sagt einer der Retter, ein Mann namens Novri, dem Sender Metro TV. Aus den Geschäften im Erdgeschoss besorgen sich die Leute trotz der Einsturzgefahr etwas zu essen. Der Hunger ist größer als die Angst.
Ganz in der Nähe ist das siebenstöckige Hotel „Roa-Roa“zusammengebrochen. Dort werden sogar noch 50 Gäste in den Trümmern vermutet. Auch hier fehlt es an Gerät und an Strom. Es ist, wie an vielen Stellen, ein verzweifelter Wettlauf gegen die Uhr. Ein paar Hundert Meter weiter, vor der Undata-Klinik, werden die weniger schlimm Verletzten draußen behandelt. Direktor Komang Adi Sujendra fleht: „Wir brauchen jede Hilfe, die wir bekommen können.“
So einfach ist das nicht. Durch das Beben sind auch zahlreiche Kommunikationsleitungen zerstört. Zumindest Palus Flughafen ist aber wieder in Betrieb, trotz der Schäden auf der Landebahn. Mit Transportflugzeugen fliegt Indonesiens Militär nun Hilfsgüter ein. Auch andere Regierungen haben dem geplagten Land Hilfe zugesagt.
Inmitten all des Leids hat aber auch schon eine Diskussion begonnen, ob tatsächlich alles getan wurde, um die Auswirkungen des Tsunamis so gering zu halten wie möglich. Die Behörden lösten zwar TsunamiAlarm aus, hoben ihn aber nach nur 34 Minuten wieder auf – offenbar viel zu früh.
Software funktionierte
Josef Zens, der Sprecher des Deutschen Geoforschungszentrums in Potsdam (GFZ), sagte dem „Tagesspiegel“, die Sofware des TsunamiFrühwarnsystems habe aus Sicht des GFZ funktioniert. Die frühe Aufhebung der Warnung widerspreche aber den Regeln. „Das System sieht vor, dass die Warnung frühestens nach zwei Stunden aufgehoben werden darf“, so Zens.
Am Strand von Palu, wo viele auf den Beginn eines Festivals warteten, wurde überhaupt nicht gewarnt. Katastrophenschutz-Sprecher Sutopo bestätigt: „Es gab keine Sirene. Viele waren sich der Gefahr nicht bewusst.“Am Sonntag macht sich dann auch Indonesiens Präsident Joko Widodo in Palu selbst ein Bild von der Lage. Der Chef des 260-MillionenEinwohner-Landes, der nächstes Jahr wiedergewählt werden will, verspricht schnelle Hilfe. Zuvor schon hatte er seine Landsleute aufgerufen, Ruhe zu bewahren. „Lasst uns dieses Leid gemeinsam überstehen.“Auch damit haben sie in Indonesien Erfahrung.