Parallelwelt unterm Tschador
Ein Familientrip nach Iran gerät zur Entdeckungsreise durch ein Land der Widersprüche
Tochter Elisabeth hat sich zum 30. Geburtstag eine Familienreise nach Iran gewünscht. Schwester Agnes war sofort Feuer und Flamme, die Eltern reagierten eher zurückhaltend. Warum nicht Griechenland, Italien oder Schweden? Nein, wenn sie schon die Wahl hätte, dann sollte es Iran sein – trotz Mullahregime, Embargo, Handelsschranken und Verschleierung. Und siehe da – manchmal empfiehlt es sich, auf Töchter zu hören.
Statt eine organisierte Gruppenoder Individualreise zu buchen, die sich eigentlich für die Ersterkundung des Landes empfiehlt, versuchen wir es auf eigene Faust. Wir finden günstige Flüge von München über Kiew, ein Hostel in Teheran und organisieren mit Hilfe von Minou, einer Iranerin, die seit 27 Jahren in Deutschland lebt, Bustransfers nach Isfahan, ins Wüstendorf Garmeh, nach Yazd und Shiraz mit jeweils einfachen, landestypischen Unterkünften. Das alles geht tatsächlich von Deutschland aus, bedarf aber eines gewissen Organisationsgeschicks.
Die Eintrittskarte nach Iran kostet 50 Euro. Das Touristenvisum kann man seit Kurzem übers Internet beantragen. Ein digitales Passbild, ein Scan vom Reisepass und die Adresse der Unterkunft genügen. Man überweist die Gebühr, schickt den Pass ans Konsulat, und nach wenigen Tagen kommt dieser mit Visum zurück. „Vielen Dank für Ihr Interesse an Iran als Reiseziel“steht auf dem Flyer, der dem Pass beiliegt. Der Hinweis, dass man vor Ort Euros zwar bar tauschen, aber in keiner Bank und an keinem Bankomat den iranischen Rial abheben kann, fehlt. Man sollte deshalb ausreichend Bargeld mitnehmen.
Das Land zwischen Persischem Golf und Kaspischem Meer besitzt eine Jahrtausende alte Kultur, von der erstaunlich viel erhalten ist. Außerdem schickt sich die Islamische Republik unter Präsident Hassan Rohani an, die Tore zur westlichen Welt zu öffnen. Dass sie mittlerweile auf Druck aus den USA und Israel von außen wieder geschlossen werden sollen, ist vor allem für die Iraner bitter. Die Preise steigen, der Handel stagniert und die Währung verfällt zusehends. Noch immer blicken bärtige ältere Herren von großen Plakatwänden mit finsteren Minen und fordern die Menschen zu strenger islamischer Haltung auf. Doch die Iraner sind es leid, gegängelt zum werden. Die islamischen Ayatollahs stehen in offensichtlichem Kontrast zu einer Gesellschaft, die sich dem Reisenden keineswegs religiös eng oder bigott, sondern äußerst facettenreich zeigt.
Prachtbauten aus 2500 Jahren
Das Land mit seinen 80 Millionen Einwohnern auf einer Fläche viermal so groß wie Deutschland hat viel zu bieten: grandiose Landschaften, Prachtbauten und steinerne Zeugnisse, an denen Weltgeschichte geschrieben wurde. Sie reichen von Persepolis, der vor 2500 Jahren von Großkönig Darius erbauten und von Alexander dem Großen 330 v. Chr. zerstörten Residenz nahe Shiraz, über den größten und wohl schönsten aller urbanen Plätze, dem im 16. Jahrhundert angelegten Meydan-e Imam in Isfahan bis hin zur ehemaligen amerikanischen Botschaft in Teheran. Doch dieses konservierte Zeugnis revolutionärer Vergangenheit, in dem zwischen 1979 und 1981 etwa 60 Amerikaner als Geiseln festgesetzt waren, muss man ebenso wenig gesehen haben wie das Museum der heiligen Verteidigung, das an den ersten Golfkrieg erinnert, der von 1980 bis 1988 zwischen Iran und Irak tobte. Die Gebäude dienen vorwiegend schiitischer Propaganda.
Einen Besuch wert ist allerdings das kleine Hostel „See You in Iran“in Teheran. Es liegt zentral, die Atmosphäre ist offen und herzlich. Frauen dürfen hier ihr Kopftuch ablegen, aber bitteschön erst ab dem ersten Obergeschoss. Regelmäßig schauen Aufpasser vorbei, dass auch alles mit rechten Dingen zugeht, sagt man uns mit einem Augenzwinkern. Schließlich hängt die Konzession immer noch von solchen Äußerlichkeiten ab. Die Parallellwelt zwischen ideologischem Dogmatismus und eher großzügiger Handhabung der Vorschriften ist nicht nur im Hostel zu spüren. Im Bus und in der Metro gibt es getrennte Abteile für Frauen und Männer. Wer als männlicher Tourist zufällig mal ins Frauenabteil gerät, wird nicht rausgeschmissen, sondern eher mit einem Lächeln begrüßt. In den Moscheen müssen sich Frauen mit bereitliegenden Laken von Kopf bis Fuß verhüllen. Statt zu beten wird in den heiligen Hallen aber auch von Iranerinnen eifrig geknipst, geplaudert und sogar geschlafen. Das riesengroße Plakat mit der Aufschrift „Das Kopftuch ist der beste Schmuck der Frau“wirkt arg verblasst und wird auch von Iranerinnen belächelt. Überhaupt scheinen die Frauen treibende Kräfte zu sein, wenn es um die Öffnung der islamischen Gesellschaft geht.
Mit Smartphone auf dem Esel
Dennoch sind die Tschadors überall präsent. In Isfahan oder Shiraz, wo es längst nicht so mondän zugeht wie in Teheran, fallen die Kontraste noch stärker ins Auge. In den Basars kann man Frauen in farbenfrohen, lässigen Klamotten neben solchen in schwarzen, weiten Umhängen beobachten. In der Wüstenstadt Nain sehen wir Jugendliche auf Eseln durch den Basar reiten, ein goldfarbenes Smartphone der neuesten Generation am Ohr. Der Geistliche mit schwarzem Turban, dem wir auf dem Flughafen in Shiraz begegnen, ist während unseres langen Wartens auf den Flug nach Teheran pausenlos mit seinem Tablet beschäftigt, Frau und Kinder schickt er unterdessen in den Gebetsraum. Der Verkehr in Teheran würde vollends zusammenbrechen, gäbe es nicht Snapp, ein App-gesteuerter Pkw-Mitfahrdienst.
Auf unserem Abstecher ins Wüstendorf Garmeh, zirka 400 Kilometer östlich von Isfahan, treffen wir Johannes und Max, zwei Medizinstudenten aus Leipzig, die auch auf eigene Faust Iran bereisen, und weil noch Platz in unserem Kleinbus ist, nehmen wir sie mit bis nach Yazd. Wir besuchen die alte Karawanserei Karanaq und den zoroastrischen Wallfahrtsort Chak Chak. Das beständige Tropfen des Wassers von der Decke der Höhle hat dem Ort den Namen gegeben. Während es draußen in der kargen Wüstenlandschaft glühend heiß ist, herrscht hier eine angenehme Kühle. Aus dem Felsen wächst ein mächtiger Baum mit allzeit grünen Blättern, drinnen brennt das ewige Feuer neben einer Uhr, die jedem Besucher seine Endlichkeit vor Augen führt. Auch Heike und Charlie aus dem bayerischen Cham machen hier in der Wüste Station. Die Sozialpädagogin und der Architekt sind mit ihrem alten Land Rover seit September 2017 unterwegs.
Goethes aktuelle Gedanken
Diese und zahlreiche Begegnungen mit Einheimischen tragen dazu bei, dass die Iranreise ein besonderes Erlebnis wird. Wir treffen Menschen, die sich nicht gängeln lassen, die unerschrocken auf eigene Faust die Welt erkunden und die ihre gestalten. Wir kommen ins Gespräch, tauschen Erfahrungen aus, knüpfen Kontakte. In einer Welt, die mehr und mehr zum Dorf schrumpft, gleichzeitig in Kleingeisterei zu versinken droht, kommt uns Goethe in den Sinn, der vor 200 Jahren in seinem West-Östlichen Diwan schrieb: „Wer sich selbst und andre kennt, wird auch hier erkennen: Orient und Occident sind nicht mehr zu trennen.“
Weitere Informationen unter www.seeyouiran.org
Das E-Visum ist erhältlich unter https://evisatraveller.mfa.ir/en/ request/