Ein Brief soll aufgebrachte Franzosen besänftigen
Zwei Tage lang hatte sich Emmanuel Macron im Elysée-Palast eingeschlossen, um den Franzosen einen Brief zu schreiben. Heraus kamen sechs Seiten, die der Präsident handschriftlich mit den Worten „im Vertrauen“beendete. Vertrauen muss Macron vor allem darauf, dass seine Landsleute an der Debatte teilnehmen, für die sein am Montag veröffentlichtes Schreiben den Rahmen absteckt. Die bisher unbekannte Demokratieübung soll die Proteste der Gelbwesten eindämmen, die seit zwei Monaten gegen soziale Ungleichheit demonstrieren und damit Macrons Reformen blockieren.
Der 41-Jährige ist nicht der erste Präsident, der sich in einem Brief an seine Bürger wendet. Doch im Gegensatz zu François Mitterrand und Nicolas Sarkozy, die so eine zweite Amtszeit ankündigten, steht Macrons Präsidentschaft auf dem Spiel. Denn die Bewegung der „Gilets jaunes“, die von rund 55 Prozent der Franzosen unterstützt werden, offenbarte einen weitverbreiteten Hass auf den einstigen Investmentbanker. Der Bürgerdialog soll nun den als realitätsfremd empfundenen Staatschef seinen Landsleuten wieder näher bringen und „die Wut in Lösungen verwandeln“, wie der Präsident schreibt. Er eröffnet die auf zwei Monate angesetzte Debatte am Dienstag selbst in der Normandie.
Die Idee für den „débat national“hatte Macron schon bei seiner Fernsehansprache im Dezember vorgetragen. „Ich weiß natürlich, dass einige von uns heute unzufrieden oder in Wut sind“, beginnt der Präsident sein Schreiben. „Diese Ungeduld teile ich.“Kein Verständnis hat der 41-Jährige allerdings für die Gewalt, die die Gelbwesten gegen Polizisten, Abgeordnete oder Journalisten ausübten. „Wenn jeder jeden angreift, löst sich die Gesellschaft auf.“
Die Diskussion ist in vier Themenbereiche strukturiert: Steuern und öffentliche Ausgaben, Organisation des Staates, Energiewende, Demokratie und Bürgertum. „Für mich gibt es keine verbotenen Fragen“, so Macron.
Keine Volksabstimmung
Die Franzosen sollen sich über die Einführung des Verhältniswahlrechts ebenso äußern wie über Referenden, die die Gelbwesten vehement fordern. Auch eine Einwanderungsquote brachte der Präsident ins Gespräch. Andere Themen wie die Ehe für alle, Abtreibung und die Todesstrafe hatte die Regierung im Vorfeld bereits ausgeschlossen.
Auch die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, eines der Kernanliegen der „Gilets jaunes“, steht nicht auf der Tagesordnung. Die Debatte selbst sei „keine Wahl und kein Referendum“ ermahnte Macron all jene, die ihn selbst am liebsten per Volksabstimmung absetzen würden.
„Der arrogante Jupiter versucht mit diesem Text, sich auf die Höhe eines Kreisverkehrs zu begeben“, kommentierte die Zeitung „Libération“. Die Gelbwesten, die zahlreiche Verkehrskreisel besetzen, misstrauen dem Bürgerdialog ebenso wie die Opposition. „Die nationale Debatte ist eine Totgeburt, denn die Regierung hat die Themen ausgesucht“, kritisierte der Politiker der Linkspartei La France Insoumise, Manuel Bompard.
Auch den Ablauf steuert die Regierung, denn mit Sebastien Lecornu und Emmanuelle Wagon sind zwei Minister dafür verantwortlich. Umfragen zufolge wollen sich gut ein Drittel der Franzosen an der Debatte beteiligen. Nur 29 Prozent glauben aber, dass „nützliche Maßnahmen“dabei herauskommen.