Alles oder nichts
Nach dem Überhit „No Roots“liefert Alice Merton jetzt Nachschlag in Albumform
BERLIN - Mit „No Roots“kam für Alice Merton ein früher Durchbruch globalen Ausmaßes. Die Arbeit am Debütalbum „Mint“zog sich wegen des Trubels etwas hin, aber nun ist es da, und es ist ein Fest für Liebhaber selbstbewusster, melodischer, auch mal störrischer Popmusik.
Warum ihr am 18. Januar erscheinendes Album „Mint“, also Minze, heißt? „Weil Minze meinen Magen beruhigt“, sagt Alice Merton freimütig beim Gespräch im Büro ihrer (eigenen) Plattenfirma „Paper Plane Records“in Berlin-Mitte. Merton wirkt zwar wie ein stets supergelauntes Energiebündel, aber dass die 25-Jährige unter Ängsten leidet, ist eben auch Teil ihrer Wahrheit. „Minze hilft, aber nur gegen die Symptome, nicht gegen die Gründe, warum mich diese Ängste plagen. Was mir aber auf jeden Fall immer Linderung verschafft, ist Songs zu schreiben.“Und so fängt „Mint“auch gleich mit einer Anti-Angst-Nummer an, „Learn to Live“. Darin beschreibt Alice, wie sehr sie sich wünscht, „dass mich die Ängste nicht so bestimmen und ich endlich leben könnte, ohne immer über die Konsequenzen meines Tuns nachzudenken.“
Viel Zeit zum Nachdenken hat Merton aktuell freilich nicht. Der Superhit „No Roots“hat ihr Leben vor gut einem Jahr völlig unerwartet auf den Kopf gestellt. „Es ist für mich immer noch nicht leicht zu verstehen, warum der Song so dermaßen funktioniert hat“, sagt Alice Merton. „Aber ich kann mich nicht beschweren.“Der Refrain von „No Roots“bleibt hängen, und mit dem Gefühl, gleichzeitig rastlos zu sein und sich doch nach Wurzeln, nach Heimat zu sehnen, können sich sehr viele Menschen identifizieren – überall auf der Welt. „Wir haben in der Türkei gespielt, in Serbien, in der Slowakei.“Sogar in der US-amerikanischen „Tonight Show“trat Alice Merton auf. „Das Lied war wie ein kleiner Schneeball, der immer weiter den Berg runterrollte und zu einer krassen Lawine wurde.“Dass „No Roots“aus ihrem Mund so authentisch klingt, hat auch eine Menge mit ihrer Vita zu tun. Der Vater Ire, die Mutter Deutsche, geboren in Frankfurt am Main, dann kurz New York, später lange die kanadische Provinz, mit 13 nach München – Alice Merton ist viel rumgekommen in ihrem jungen Leben. „Ich reise gern und liebe es, neue Orte zu sehen. Andererseits ist der Wunsch, Wurzeln zu schlagen, schon auch vorhanden.“Die Ironie ist ja, dass Alice, die zwölf Mal mit ihren Eltern umzog, seit dem Sensationserfolg von „No Roots“erst recht nicht mehr wirklich irgendwo zu Hause, sondern „praktisch seit zwei Jahren auf Tour“sei.
Studium an der Popakademie
Ihr Abitur macht Merton, die innerhalb von ein, zwei Jahren Deutsch lernte, auf einer Münchner Klosterschule nur für Mädchen, dann studiert sie BWL in Augsburg, bevor sie auf die Popakademie in Mannheim aufmerksam wird und sich erfolgreich dort um einen Studienplatz bewirbt. „Als es in Mannheim klappte, war mir klar: Alles oder nichts. Ich habe mich richtig reingehängt und wollte es unbedingt als Musikerin schaffen.“An den Wochenenden fährt sie nach Berlin, knüpft Kontakte, etwa zu dem Produzenten Nico Rebscher, mit dem sie auch „Mint“aufgenommen hat, eine vor melodischer Dynamik und krachend ehrlichen Texten strotzenden Platte, die ein bisschen an die Werke einer jungen Lily Allen oder Kate Nash erinnert. Mit ihrem Kommilitonen Paul Grauwinkel zieht sie schließlich in die Hauptstadt (das Lied „2 Kids“handelt vom Kennenlernen der beiden an einer Bushaltestelle), sechs Monate leben die platonischen Freunde in einer Einzimmerwohnung und teilen sich ein Doppelstockbett, auch „Paper Plane Records“gründen die beiden Do-ityourself-Menschen gemeinsam.
„Ich bin sehr dickschädelig und wollte meine Musik nicht ändern, nicht gefälliger produzieren. Also haben wir es selbst gemacht.“Und wie. „Funny Business“heißt Alice Mertons neue Single. Darin betont sie, sich nicht verarschen und verbiegen zu lassen. Im Gegenzug bekomme man eine aufrechte, verlässliche Partnerin. „Ich bin ein ehrlicher Mensch. Man kann mir vertrauen“, sagt Alice. „Jetzt muss ich es bloß noch schaffen, mir noch besser selbst zu vertrauen.“Zur Not mit einer extragroßen Packung Minzgummis.
Alice Merton hat sich für das Southside angekündigt, das vom 21. bis 23. Juni in Neuhausen ob Eck steigt. Mit dabei sind auch die Toten Hosen, Foo Fighters, The Cure, Interpol, Wolfmother, Leoniden und Bosse. Infos und Tickets unter www.southside.de. Wer selbst dort spielen will, macht sich unter www.schwäbische.de/ bandcontest über den SZeneBandwettbewerb schlau.