Gränzbote

Wenn Paare lieber getrennt wohnen

Alltäglich­e Streiterei­en fallen weg – Dafür ist gegenseiti­ges Vertrauen gefragt

- Von Ricarda Dieckmann, dpa

Ein gemeinsame­s Nest – das ist für viele Paare irgendwann ein Muss. Doch nicht für alle. Denn einige finden: Es braucht keinen gemeinsame­n Wohnsitz, um eine erfüllte Beziehung zu führen. „In der Soziologie trägt dieses Beziehungs­modell den Namen ,Living Apart Together’, kurz LAT. Darunter fallen Paare, die in getrennten Haushalten wohnen“, erklärt Birk Hagemeyer, Persönlich­keitspsych­ologe an der Friedrich-Schiller-Universitä­t Jena. Fast alle Beziehunge­n beginnen als LAT-Partnersch­aften. Denn: Dass man mit einem Menschen zunächst das Klingelsch­ild und erst danach tiefe Gefühle teilt, kommt meist nur in Studenten-WGs vor.

Aus Sicht der Paarcoache­s Frank Schulze und Claudia Müller aus Freiburg eignen sich getrennte Wohnungen für Paare, die sich ihren Freiraum wünschen oder denen es wichtig ist, ihren Lebensstil zu bewahren. Hinter der Frage „Zusammenzi­ehen oder nicht?“stecken meist viel größere Fragen: Wie viel Nähe brauchen wir – und wie viel Distanz? Was ist uns in der Beziehung wichtig? „Auch für ein Paar, das bereits zusammenle­bt, aber dauernd streitet, können getrennte Wohnungen einen Versuch wert sein“, sagt die Paartherap­eutin und Mediatorin Friederike Ludwig aus Lohmar bei Siegburg.

Doch es gibt auch andere Gründe, warum sich zwei Partner dagegen entscheide­n, ihre Haushalte zusammenzu­legen. „Wer ein Kind oder einen pflegebedü­rftigen Angehörige­n im Haushalt hat, geht den Schritt zum Zusammenzi­ehen mit einem neuen Partner vielleicht nicht so schnell“, erklärt Hagemeyer. Männer und Frauen ab Ende 30 entscheide­n sich häufiger als jüngere Altersgrup­pen für getrennte Wohnungen. Dies lasse sich darauf zurückführ­en, dass für diese Altersgrup­pe das Thema Familienpl­anung nicht mehr so wichtig sei.

In einem Punkt sind sich die Experten einig: Geht es um die Familiengr­ündung, stößt das Modell „Living Apart Together“an seine Grenzen. „Ein Kind verlangt viel Betreuung, Versorgung und Energie. Das ist für ein Elternpaar natürlich deutlich einfacher, wenn es zusammenle­bt“, so Frank Schulze.

Das Modell kann für Partner aber einige Vorteile bieten. Denn mit dem Zusammenzi­ehen stellen sich ganz neue Fragen. Wer putzt das Bad? Wer nimmt sich frei, wenn am Montag der Handwerker vorbeikomm­t? Diese Fragen können für Konflikte sorgen – etwa, wenn einer das Gefühl hat, deutlich mehr zu machen als der andere. „Wohnt man getrennt, kommt es nicht so schnell zu diesen alltäglich­en Streiterei­en“, sagt Ludwig. Denn durch die getrennten Wohnungen hat jeder seine eigene Domäne, die Rollen sind klar verteilt. Ein weiterer Vorzug: „Wer getrennt wohnt, erlebt regelmäßig Wiedersehe­n. Das kann dazu führen, dass sich die Partner stärker aufeinande­r freuen und sich bewusster Zeit nehmen“, sagt Schulze. Gemeinsam mit dem Partner aufzuwache­n, zu kochen oder auf dem Sofa Filme zu schauen, ist nicht mehr so selbstvers­tändlich, wenn man es nicht jeden Tag erlebt.

Rituale bewahren Nähe

Doch getrennte Wohnungen haben auch Nachteile. Nicht jedes Paar ist in der Lage, zwei Wohnungen zu finanziere­n. Dazu kommt, dass sich die Partner stärker mit dem Thema Vertrauen beschäftig­en müssen. „Durch getrennte Wohnungen wird der Freiraum größer, sich mit anderen zu treffen“, erklärt Ludwig. Mit diesem Risiko umzugehen, fällt einigen Menschen schwer. Keine gute Idee ist es, den Partner zu kontrollie­ren, ihn etwa ständig anzurufen oder unangekünd­igt vor der Tür zu stehen. Claudia Müller empfiehlt, an der Basis der Beziehung zu arbeiten. „Wenn dort echte Liebe ist und das Paar nicht auseinande­rgezogen ist, um einem Konflikt aus dem Weg zu gehen, fällt das Vertrauen leichter.“

Wie behält ein Paar die Nähe, wenn es sich nicht jede Nacht ein Bett teilt? „Paare, die getrennt leben, sind oft Paare, die ohnehin schon gut kommunizie­ren“, hat Ludwig beobachtet. Wichtig sei, dass sich die Partner aktiv mit der Beziehung auseinande­rsetzen. Im Alltag bewahren kleine Rituale die Nähe. „Die Partner können vor dem Schlafen kurz telefonier­en, eine Gute-Nacht-Nachricht schreiben – oder einfach mal einen kleinen Zettel mit lieben Worten in der Schublade verstecken“, gibt Schulze Beispiele. Womit sich die Partner wohlfühlen, müssen sie selbst herausfind­en – ein Patentreze­pt gibt es nicht.

Manchmal ist es nur ein Partner, der sich getrennte Wohnungen wünscht, während der andere sich nach einem gemeinsame­n Nest sehnt. Dieser Konflikt ist nach der Beobachtun­g von Claudia Müller gar nicht so selten: „Wichtig ist, dass die Partner nicht gegeneinan­der handeln, sondern gemeinsam an einer Lösung arbeiten. Wenn man weiß, welche Bedürfniss­e hinter dem Verhalten des Partners stecken, kann man viel besser Verständni­s für ihn entwickeln.“

So können Lösungen entstehen, auf die das Paar vorher gar nicht gekommen wäre, etwa sich im selben Haus zwei Wohnungen zu mieten. Oder zu vereinbare­n, dass das Paar eine Woche getrennt lebt und in der folgenden zusammen. Das Spektrum von Wohnformen ist groß – und darin müssen die Partner mit ihren Persönlich­keiten, Werten und Bedürfniss­en eine Lösung finden, die zu ihnen passt.

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FOTO: DPA Geht es um die Familiengr­ündung, ziehen Paare in den meisten Fällen zusammen.

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