Die hohe Kunst des Argumentierens
Diskussionen in studentischen Debattierclubs sind ein gutes Training für spätere Überzeugungskraft im Job – auch für Ausländer
BERLIN (dpa) - Bei ihrer Abschlussrede konzentrierte sich Ilze Zilmane ganz auf ihre Worte. „Ich habe die Zuschauer überhaupt nicht mehr gesehen“, erzählt sie. Im Finale der deutschsprachigen Debattiermeisterschaft 2018 in Jena hat die 26-Jährige mit ihrer Teampartnerin Cui Wang den Meistertitel in der Kategorie Deutsch als Fremdsprache geholt. Ilze Zilmane diskutiert auf Deutsch wortgewandt über Politik, Gesellschaft oder Religion, obwohl sie die Sprache erst als Erwachsene gelernt hat. Sie stammt aus Lettland, war nach der Schule sieben Monate als Au-pair in Deutschland und studiert seit 2016 Geschichte in Berlin.
In ihrem Studiengang werde viel diskutiert, erzählt Ilze Zilmane. „Ich wollte mir deswegen etwas suchen, bei dem ich ins Sprechen komme.“Da sie bereits während ihrer Schulzeit in Lettland einem Debattierclub angehörte, schaute sie sich in Berlin um. So kam sie zur Berlin Debating Union, dem Debattierclub der Berliner Hochschulen, der sich jede Woche am Dienstagabend an der Humboldt-Universität trifft.
Ilze Zilmane diskutierte im Finale der deutschsprachigen Debattiermeisterschaft beispielsweise zur Frage: „Sollten Wahlumfragen verboten werden?“Ein gutes Thema für die Studentin, der politische und historische Debatten liegen. Hilfsmittel seien bei der Vorbereitung verboten. „Aber bis man einen Wikipedia-Artikel durchgelesen hat, wäre die Zeit schon um“, sagt sie und lacht.
Die Debatten funktionieren nach bestimmten Regeln: Es gibt vier Teams, die jeweils aus zwei Personen bestehen, erklärt Zilmane. Zwei Teams nehmen die Position der Regierung und präsentieren Pro-Argumente. Die beiden anderen Teams argumentieren als Opposition dagegen. Wie in einem Parlament gibt es festgelegte Rednerabfolgen und Redezeiten.
Bei den Debatten kommt es darauf an, mit guten Argumenten zu überzeugen. Wichtig ist aber auch, zuzuhören und sich mit der Gegenseite auseinanderzusetzen. Die Debattierenden haben nur 15 Minuten Zeit, um sich auf eine Fragestellung vorzubereiten.
„Es gibt ein großes Interesse an der Fähigkeit, sich ausdrücken zu können und analytisch zu argumentieren“, sagt Lokstein. Auch Auszubildende und Berufstätige interessieren sich fürs Debattieren. „Das ist etwas, das noch verhältnismäßig neu ist.“Der VDCH unterstützt Initiativen, die eigene Clubs gründen wollen – an der Uni und auch außerhalb.
Der VDCH organisiert pro Jahr acht sogenannte Campus-Debatten an verschiedenen Hochschulstandorten. Hinzu kommen drei Regionalmeisterschaften und die deutschsprachige Debattiermeisterschaft, die über den VDCH mitfinanziert wird. Einige Clubs – wie Berlin oder auch Tübingen – bieten neben Deutsch auch die Möglichkeit, auf Englisch zu debattieren. „Das Interesse an englischsprachigem Debattieren ist jedoch im Vergleich zu anderen europäischen Ländern eher gering“, sagt Lennart Lokstein. Das liege unter anderem daran, dass es im deutschsprachigen Raum genug Debattierclubs für ein großes Angebot an Wettbewerben in der Muttersprache gebe.
Einer der Orte, an denen gerade ein Debattierclub gegründet wird, ist Darmstadt. Zur ersten Debatte seien auf Anhieb 40 Interessierte gekommen, berichtet Max Frankenberger, einer der Organisatoren. „Ich glaube, wir haben damit einen Nerv getroffen.“In vielen technischen Studiengängen der Hochschule Darmstadt fehle die Möglichkeit zur Diskussion, erklärt er. Im Studium werde vor allem Fachwissen vermittelt, nicht aber die Fähigkeit, zu überzeugen, sagt der 23-Jährige, der selbst Umweltingenieurwesen studiert. Für ihn seien rhetorische Fähigkeiten ein wichtiges Instrument, sich präzise und überzeugend auszudrücken. „Ich finde, gut reden zu können ist eine unglaubliche Kunst, die ich auch gerne beherrschen würde.“
Neben den Debattierabenden organisieren Clubs auch Seminare, in denen Einsteiger lernen können, worauf es ankommt. Auch die Darmstädter haben zu ihrem ersten Treffen eine Trainerin aus Frankfurt eingeladen. Wenn die Mitglieder ein bisschen Übung haben, wollen sie auch an Wettbewerben teilnehmen, erzählt Frankenberger.
Ilze Zilmane kann sich noch gut an ihre erste Debatte auf Deutsch erinnern. „Ich war sehr, sehr aufgeregt“, erzählt sie. Es sei schwierig gewesen, weil sie damals noch nicht über denselben Wortschatz verfügt habe wie heute. Inzwischen unterstützt sie andere Studierende dabei, die ersten Schritte zu wagen. „Das Debattieren hilft mir, strukturierter zu denken“, erklärt sie. Das komme ihr im Studium, aber mit Sicherheit auch später im Job zugute.